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Vogelfaenger

Titel: Vogelfaenger
Autoren: Kristina Dunker
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auszog.
    Tobias merkte erst, was ich vorhatte, als die Stimmen auf der Veranda richtig laut wurden. Zum einen wollten alle den Sprung sehen, zum anderen war’s eine kleine Sensation, dass ich in schwarzer Unterwäsche dort oben stand, auf und ab stolzierte, die Entfernung abmaß, auf die Zurufe antwortete, mit dem Po wackelte und Wetten annahm, dass ich mich auf jeden Fall trauen würde. Tobias hat später behauptet, ich hätte einen Striptease gemacht, aber das stimmt natürlich nicht, es war einfach nur ein Spaß. Allerdings keiner, den er verstand. Er flippte total aus.
    »Bist du bekloppt? Was machst du da?«, rief er. »Du springst nicht, hör sofort auf mit dem Scheiß!«
    Ich sah, wie er mit Ida rangelte, die ihn nicht aufs Dach lassen wollte. »Du hast ihr nichts zu verbieten, das ist ihre Sache, sie ist ein freier Mensch«, sagte sie.
    »Die ist doch bescheuert, guck mal, wie sie rumläuft!«
    Ich fand, die schwarze Unterwäsche stand mir auch nicht viel schlechter als ein Bikini. Und in der Dunkelheit konnte das da unten sowieso keiner unterscheiden. Sie johlten nur so, weil sie
wussten
, dass es Unterwäsche war.
    »Tobi, ich widme dir meinen Sprung«, sagte ich lässig und ging zurück, um Anlauf zu nehmen.
    »Wenn du springst, mach ich Schluss!«
    Jemand – vielleicht Idas enttäuschter Verehrer – rief unten ziemlich laut, Tobias solle sich durchsetzen. Und der schob Ida wild entschlossen beiseite und kletterte aufs Dach.
    Ich winkte ihm zu, gönnerhaft und zuckersüß. Dann lief ich los, sprang ab, flog, flog und tauchte ins Wasser, dessen Kälte ein Schock war, kämpfte mich an die Oberfläche, schnappte nach Luft, quiekte, kreischte, schwamm ein paar Züge und winkte mit den Armen. »Juhu, ich hab’s gemacht!«
    Tobias stand oben am Rand, sah herunter.
    »Komm!«, rief ich lachend. Ich gluckste vor Freude, ich strampelte mit den Beinen, um möglichst viel Wasser aufzuspritzen, und rief noch einmal: »Jetzt komm! Trau dich! Das ist super!«
    Aber er drehte sich wortlos um, stieg vom Dach, ging an die Bar und ließ sich volllaufen. Den ganzen Abend redete er kein Wort mehr mit mir, auch nicht, als ich ihn dringend gebraucht hätte.

7
    Ich steige aus dem Auto, strecke mich und atme tief durch. Endlich da: hohe Nadelbäume, deren Kronen im Wind rauschen, der Duft von Harz und das Summen von Hummeln. Freiheit und Stille. Kein Eingepferchtsein auf dem Rücksitz mehr, keine Autobahn, keine Erinnerungen, kein Gezänk. Rocky scheint’s auch zu gefallen, er schnüffelt hier und da, läuft aufgeregt um mich herum, bellt.
    Herr Bärlauch steht schon an der Rezeption. »Von Bärlauch«, höre ich ihn an der Theke des kleinen Blockhäuschens sagen und sehe, wie Ida vor Peinlichkeit erstarrt. Ich vergesse auch immer wieder, dass sie »von« Bärlauchs sind.
    Mit einem Satz hechte ich herüber. »Und Pestowski«, füge ich hinzu, »wie die Pest oder der Pesto, ganz nach Wahl.«
    Ich grinse das Gesicht hinter der selbst gezimmerten Theke an. Überraschenderweise ist es ein Junge um die achtzehn, mit wilden Locken und einem ganzen Haufen algengrüner Flecken im Gesicht, die aussehen wie die Sommersprossen eines Wassermanns. Er guckt auch so erstaunt, als komme er aus einer anderen Welt und habe mit allem gerechnet, nur nicht mit uns. Dabei muss man immer mit mir rechnen!
    »Wir haben reserviert«, sagt neben mir Herr Bärlauch, dem das Schauen des Jungen schon wieder zu lange dauert. »Die beiden jungen Damen wollen hier Ferien machen. Sie haben das sicherlich in Ihrer Liste stehen.«
    »Selbschverschänlich«, nuschelt der Junge, wird grünrot – wie süß – und kramt in seinen Unterlagen. Währenddessen nicke ich zu Ida herüber. Hey, sagt mein Blick, gefällt dir der?, aber sie reagiert nicht, ist wohl noch nicht entspannt genug, um sich mit solchen Fragen zu beschäftigen.
    »Ja, ich hab’s hier. Ihr habt ein … kleines Zelt?«
    »Ein kleines Zelt und einen kleinen Hund«, antworte ich.
    »Ist Herr Rotter eigentlich nicht da, der Besitzer des Platzes?«, fragt Idas Vater und lehnt sich mit einem Arm auf die Theke, so als erwarte er, der Junge würde gleich den roten Teppich ausrollen und den Champagner servieren.
    »Herr Rotter hat Mittagspause. Ähm, übrigens …«
    »Um die Zeit?« Papa Bärlauch unterbricht ihn. »Es ist nach vier und es gefällt mir überhaupt nicht, dass der Platz unbewacht ist. Es sollte doch irgendwer hier aufpassen.«
    »Dafür bin ich ja da. Ich hab auch das Häuschen hier
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