Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Voellig durchgeknallt

Voellig durchgeknallt

Titel: Voellig durchgeknallt
Autoren: Ally Kennen
Vom Netzwerk:
Kreuz knackt, als sie etwas unter der Tür durchschiebt.
    Ich schwinge die Beine aus dem Bett und setze mich auf. Ich reibe mir die Augen, aber nur mit einer Hand. Wenn dir vor ein paar Stunden jemand den Finger abgehackt hätte, würdest du dir mit dieser Hand auch nicht die Augen reiben.
    Auf dem Teppich liegt ein gelber Umschlag.
    Ich hebe ihn auf.
    Es ist keine Briefmarke drauf, bloß so ein Frankierungsaufdruck.
Louisiana
,
USA
, steht da.
    Ich halte den Brief in der Hand und beiße mir auf die Lippe. Ich hätte nicht gedacht, dass er so schnell kommt. Ehrlich gesagt dachte ich, dass sowieso kein Brief kommt. Jetzt wäre ich froh, wenn ich recht behalten hätte.
    »Ach du Scheiße«, sage ich vor mich hin. Wo hab ich mich jetzt bloß wieder reingeritten?

|23| Zwei
    Ich wollte keiner Frau schreiben. Ich wollte einen echten Mörder, und am liebsten einen, der unschuldige Passanten mit einer Maschinenpistole niedergemäht hat, so richtig rambomäßig. Irgendwer, der in die Geschichte eingeht, ein Massenmörder mit haufenweise Leichen im Keller. Welcher Fünfzehnjährige kann schon von sich sagen, dass er einen Mörder zum Brieffreund hat? Ich, Chas Parsons! Ich hab einen! Ich seh vielleicht wie ein harmloser, schmächtiger Typ aus, der einfach zur Schule geht und dessen kühnste Träume sich darauf beschränken, mit der Tochter vom Oberschläger unserer Siedlung zu knutschen, bis sie nicht mehr weiß, wo rechts und links ist, aber ich hab meine kleinen Geheimnisse, und der Brief ist nur eins davon.
    Manchmal habe ich schräge Ideen. Wie damals, als ich in der Schule so getan hab, als ob ich das Gedächtnis verloren hätte. (Die Lehrer haben gar nichts gemerkt.) Oder als die anderen unten am Kanal ausgeflippt sind, weil ich den ganzen Tag lang immer nur »Tod« gesagt habe, nichts anderes. Aber das ist bloß Pipifax. Dann gibt’s natürlich noch die Dinger, die ich mit Devil aushecke. Meine Lehrer bezeichnen mich als »Rädelsführer«. Aber ich arbeite lieber |24| in kleinem Kreis. Was nicht heißt, dass ich keine Kumpels hätte, ich hab massenhaft, aber nur Devil gehört zum engsten Kreis, außer ihm darf niemand bei meinen Beutezügen und dunklen Machenschaften dabei sein. Nur Devil ist eingeweiht, wer hinter den Maden in der Polizeikantine und den Schafen im Supermarkt steckt. Connor Blacker zum Beispiel ist ein guter Typ, wir hängen oft zusammen rum, aber er ist ein bisschen, ich weiß auch nicht, irgendwie daneben. Andauernd labert er irgendwelchen Scheiß, der keinen Menschen interessiert, zum Beispiel über Pygmäen, die in Bungalows wohnen, oder Bankkonten für Kinder, lauter so Zeug. Devil ist zwar ziemlich unberechenbar, aber er hat ganz klar seine Vorzüge:
Er ist IMMER für einen Jux zu haben. Ganz egal, wie illegal.
Er ist stark und fürchtet sich vor keinem, außer vor seinem Dad.
    Aber ich hab keiner Menschenseele, nicht mal Devil, erzählt, dass ich vorhabe, mich mit einem Mörder anzufreunden.
    Das mit der Organisation für Brieffreundschaften hab ich schon vor einer ganzen Weile rausgefunden, aber erst kürzlich etwas in der Richtung unternommen. Irgendwann habe ich mal sinnlos im Netz rumgegoogelt und nur mal aus Spaß »Mörder« eingegeben, und da ist lauter gruseliges Zeug aufgetaucht: Berichte über total fiese Mordfälle (ich hab echt ’ne Gänsehaut gekriegt), aber auch öde Zeitungsartikel |25| und irgendwelche schrägen Rockbands. Dann bin ich auf eine Seite gestoßen, die Brieffreunde für zum Tode Verurteilte sucht. Cool, oder? Ich hatte Lust, so was mal auszuprobieren, obwohl ich im Leben noch keinen Brief geschrieben habe.
    Ich hab mir ausgemalt, dass mir mein neuer Kumpel alles über sich erzählt. Alle Gewalttaten, die er in seinem Leben verübt hat und so, und wie seine Opfer vor ihm gezittert haben. So was interessiert mich auch aus professionellen Gründen. (Nicht dass ich ein Mörder wäre, versteh mich nicht falsch.) Schon zweimal wär ich um ein Haar im Jugendknast gelandet. Einmal wegen Einbruch und das andere Mal wegen lauter Kleinkram, der darin gipfelte, dass ich die Fassade vom Bullenrevier mit knallpinkem Autolack vollgesprüht habe. (Das fanden die Bullen gar nicht komisch   … hoppla.)
    Auf der Website standen auch so Sachen wie »ein Fenster zur Außenwelt sein« und »ein Gefährte an einem Ort, wo es sehr finster sein kann«. Darüber hab ich nicht weiter nachgedacht. Mir hat einfach die Vorstellung gefallen, einen Mörder zum Brieffreund zu haben. Eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher