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Vita Nuova

Vita Nuova

Titel: Vita Nuova
Autoren: Brrazo
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befestigten Landhäuser mit dicken Mauern, vergitterten Fenstern und hohen Zinnen. Die großen Augen hinter der Sonnenbrille registrierten sämtliche Details. Zwei Familienautos, ein Mercedes-Kabrio und ein schwarzer Mini, parkten im Schatten eines großen Baumes. An das mächtige Tor zur Auffahrt schlossen die hohen Umfassungsmauern direkt an, dennoch würde es Unbefugten keine Probleme bereiten, in das Anwesen einzudringen. Guarnaccia hatte schon einen Blick hinter das Haus und die angrenzende Gartenanlage geworfen, wo offenbar ein zweiter Swimmingpool angelegt wurde. Doch im Augenblick war der Baulärm verstummt. Der Carabiniere des Capitano hatte sämtliche Arbeiten stoppen lassen. In einem der Dächer weiter unten klaffte ein großes Loch. Es gehörte zu einem Bauernhaus, das noch innerhalb der Umfriedung lag. Bestimmt gab es eine Tür in dieser Mauer und einen daran anschließenden Feldweg, über den man in friedlichen Zeiten – von denen es früher wohl nicht allzu viele gegeben hatte – die landwirtschaftlichen Erzeugnisse des Hofes nach unten in die Stadt gebracht hatte. Ein steinernes, ziemlich verwittertes Wappen prangte am Tor zur Villa, keines, das der Maresciallo kannte. Beim Betreten des Hauses nahm er Schirmmütze und Sonnenbrille ab. Noch immer hörte er lautes Weinen, aber es klang jetzt ein wenig ruhiger und wurde von leisem Gemurmel unterbrochen. Ein moderner, grauer Steinfußboden, ein neues, schmiedeeisernes Treppengeländer, glatte, graue Stufen, die nach unten in die Küche führten. Reiche Leute, da stand ihm wohl Ärger ins Haus. Alles hing davon ab, welcher Staatsanwalt den Fall übernehmen würde. Beim Geräusch seiner schweren Schritte auf der Treppe schwoll das Weinen wieder an.
     
    Es dauerte noch eine ganze Stunde, bis der Staatsanwalt endlich auftauchte. Und als er schließlich auf der Bildfläche erschien – sonnengebräunt, weißer Leinenanzug und kleiner Schmerbauch unter dezent gestreiftem Hemd –, war das für den Maresciallo wie ein kräftiger Schlag in die Magengrube: Fulvio De Vita! Ganz offensichtlich war auch der Staatsanwalt nicht gerade entzückt, als er die dunkle, kompakte Statur des Maresciallo erkannte, die ihm den Weg versperrte. Sie reichten sich die Hände. Der Staatsanwalt war ein wenig außer Atem, als wäre er in halsbrecherischem Tempo hier heraufgejagt.
    »Ah, Guarnaccia, ja, ja, ich erinnere mich …«
    Ich auch, dachte der Maresciallo, ich auch, ganz besonders an unseren ersten gemeinsamen Fall. Damals war es auch August gewesen. Ganz klarer Selbstmord, hatte De Vita entschieden, weil er möglichst rasch seinen Urlaub hatte antreten wollen. Warum auch nicht, das Opfer damals war ja nur eine arme, unbedeutende alte Frau. Für diesen Fall hier würde er sämtliche Puppen, die ihm zur Verfügung standen, tanzen lassen.
     
    »Entschuldigen Sie bitte, darf ich?«
    Sie standen auf dem Treppenabsatz im zweiten Stock des Turms und traten einen Schritt zurück, um den jungen Carabiniere mit der Videokamera seine Arbeit machen zu lassen. Der Maresciallo beobachtete den Mann. Er machte eine Aufnahme von der weißen Kreidezeichnung auf den ausgetretenen, roten Fliesen, trat dann in das Zimmer und nahm jede Einzelheit sorgfältig ins Visier, Detail für Detail. Um ein Vielfaches gründlicher und rascher als das menschliche Auge. Der Maresciallo selbst hatte sich zuvor einen Weg durch das Wohnzimmer gebahnt, wo die Tote hinter der geöffneten Schlafzimmertür direkt vor dem Bett hingestreckt lag. Er hatte nach eventuellen Lebenszeichen gesucht, obwohl ihm das beim Anblick der roten Schleifspur, die sie hinterlassen hatte, als sie sich von der Tür zum Telefon am Bett geschleppt hatte, höchst unwahrscheinlich erschien. Die junge Frau hatte das Telefon nicht mehr erreicht. Den Arm hatte sie schon danach ausgestreckt gehabt, die Hand lag auf dem geschwungenen Fuß des Nachttisches. Aber die Kugel in ihrem Hinterkopf musste sie abrupt aufgehalten haben. Vielleicht hatte sie versucht, den Nachttisch zu sich heranzuziehen. Ein Foto in einem silbernen Rahmen lag umgeben von zersplittertem Glas auf dem weißen Läufer.
    »Können wir sie umdrehen?«
    Der Kameramann machte Platz, und zwei Kriminaltechniker in weißen Schutzoveralls drehten die Tote um.
    »Sie hat wenigstens vier oder fünf Kugeln im Bauch«, riefen sie dem Staatsanwalt zu.
    »Hat die Schwester irgendwelche Spuren am Tatort zerstört, Maresciallo?«
    »Nein, hat sie nicht. Als sie die Tür geöffnet und die
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