Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond
Autoren: Cassie Alexander
Vom Netzwerk:
Fall, dass ich unterwegs in eine Polizeikontrolle
geriet.
    An Heiligabend war jedoch
niemand unterwegs, um Strafzettel zu verteilen. Ausnahmslos jeder befand sich im Einkaufszentrum,
beim verzweifelten Last-Minute-Shopping. Proppenvoll traf es nicht einmal
annähernd. Und weil ich auf dem hinterletzten Deck parken musste, hatte ich
auch einen langen Marsch zu den Geschäften vor mir.
    Die Kunden schoben sich in
dichten Pulks durch die Gänge, und alle waren in etwa genauso gut gelaunt wie
ich. Dabei hatte ich noch Glück gehabt, da ich nicht in die Spielzeugabteilung
musste. Ich schlängelte mich an den Massen vorbei bis zu den Haushaltswaren und
fand zwischen Unmengen an Dekorationsmaterialien das Regal mit den Sofabezügen.
    Um meiner gesamten Wohnung ein
anmutigeres Äußeres zu verpassen, würde es mich wesentlich mehr kosten als
vierzig Dollar. Aber ich konnte eben nicht unendlich Sonderschichten schieben
und gleichzeitig noch ein Leben führen – was für mich so definiert war, dass
ich oft genug aus dem Krankenhaus rauskam, um ab und zu die Sonne zu sehen.
    Â»Hallo, Edith .«
    Seit meine Großmutter tot war,
nannte mich niemand mehr Edith. Niemand außer … mit einem flauen Gefühl im
Magen drehte ich mich um.
    Hinter mir stand ein
hochgewachsener Mann – besser gesagt Vampir –, der mir nicht ganz unbekannt
war. Dren. Er war ein Schäler im Dienste des Throns der Rose. Das letzte Mal hatten
wir uns direkt nach meinem Prozess gesehen, und da hatte er versucht, mich zu
töten. In Notwehr hatte ich ihm eine Hand abgetrennt.
    Â»Was willst du?«, fragte ich
ihn. Als ich plötzlich anfing zu sprechen, sahen manche der anderen Kunden mich
kurz an, doch keiner von ihnen schaute in Drens Richtung. Er hatte seine
vampirische Fähigkeit, die Blicke anderer von sich abzulenken, voll aufgedreht,
sodass das Bewusstsein der Menschen seine Anwesenheit einfach nicht zur
Kenntnis nahm.
    Er starrte mich aus grasgrünen
Augen an. »Ich denke, du schuldest mir noch etwas.«
    Â»Wofür?«
    Â»Für meine Hand und meinen
Spürhund.«
    Seine Rechte lag an dem
Holster, in dem er seine Sichel trug, doch das linke Handgelenk verschwand in
einer Manteltasche, die dabei völlig flach blieb.
    Hätte er damals nicht versucht,
mir etwas anzutun, wäre ihm auch nichts passiert. Und ich war es auch nicht,
die seinen Spürhund, diese schreckliche Kreuzung aus Mensch und Reptil, getötet
hatte – das hatten die Schatten erledigt. Wir befanden uns an einem
öffentlichen Ort. Ja, in meiner Handtasche lag ein antiker Vampirdolch, aber
ich hatte keine Ahnung, wie ich ihn richtig einsetzen sollte, selbst wenn ich
die Gelegenheit bekam, ihn zu ziehen.
    Â»Nur, damit ich das richtig
verstehe: Wenn ich zugelassen hätte, dass du mich umbringst, wärst technisch
gesehen also du mir etwas schuldig?«, fragte ich.
    Â»Nur wärst du wohl kaum noch in
der Lage, eine Wiedergutmachung einzufordern«, erklärte er mir über den Kopf
einer kleinen, blonden Frau hinweg.
    Â»Dann besteht mein Verbrechen
also eigentlich nicht darin, dass du eine Hand verloren hast, sondern darin,
dass ich es nicht zu Ende gebracht habe?«
    Â»So könnte man es auch
ausdrücken.«
    Die Kunden drifteten jetzt alle
ein wenig nach links, hin zu mir und weg von Dren. Sie konnten ihn zwar nicht
sehen, aber es wollte ihm trotzdem keiner zu nahe kommen. Mich hingegen konnten
sie sehen und hören. Eine genaue Diagnose über meinen Zustand konnten sie
vielleicht nicht stellen, aber sie wussten, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte.
Einige warfen mir irritierte Blicke zu, doch um die Leute an Heiligabend aus
der Ruhe zu bringen, war wohl eine wesentlich verrücktere Nummer nötig.
    Die Sofabezüge, die ich so
dringend brauchte, befanden sich direkt hinter mir. Schnell sah ich mich in dem
Gang um. Von diesen Leuten würde mir bestimmt keiner helfen – sie dachten
sicher alle, dass ich Selbstgespräche führte. Und selbst wenn doch … das konnte
ich nicht tun. Ich durfte niemanden in Gefahr bringen.
    Â»Was willst du, Dren?«, fragte
ich mit Weltschmerz in der Stimme. »Ich bin Nichtkombattantin. Du kannst mir
nichts tun.«
    Â»Ich sollte dir nichts tun. Das
bedeutet aber nicht, dass ich es nicht kann .«
    Und plötzlich fielen auch mir
jede Menge Wege ein, wie Dren mir etwas antun konnte. Morgen Vormittag würde
ich sie alle
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher