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Virus (German Edition)

Virus (German Edition)

Titel: Virus (German Edition)
Autoren: Kristian Isringhaus
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schöne Sache, aber weitaus schöner, als wenn es sie traf.
    Unter dem ständigen Bemühen, so
cool und entspannt wie nur möglich zu wirken, studierte Holger die Gesichtszüge
des Killers. Auch sie wirkten angespannter als sonst, allerdings ohne sich auch
nur im Geringsten zu verändern. Kein Zittern, kein Blinzeln, kein Zucken.
Somniak saß mit aufeinander gebissenen Kiefern neben ihm, wobei die
Fleischlosigkeit seiner eingefallenen, von Blutergüssen übersäten Wangen den
Eindruck von Verkrampfung multiplizierte, und starrte mit nahezu manisch
anmutendem Blick auf den Bildschirm.
    –––––
    Jeden Moment musste Ashcroft an
der Reihe sein und sein Meisterwerk vollenden. Dieser letzte Akt seiner
Inszenierung hatte Jo Somniak am meisten Kopfzerbrechen bereitet. Unzählige
Male hatte er Gott um Hilfe gebeten, doch der Herr hatte stets darauf beharrt, sein
Virtute möge die ihm zugetragene Aufgabe selbständig lösen.
    Dann aber hatte Somniak von der
Verabschiedungszeremonie für die Wissenschaftler erfahren und augenblicklich
gewusst, dass der Herr ihm doch noch geholfen hatte. Er musste. Anders als durch
Gottes Eingriff wäre dieser Zufall nicht zu erklären gewesen: Die sechste
apokalyptische Posaune bindet ein Heer von Reitern los, die aussetzen, um zu
töten, und hier – voilà – ist eine Staffel von berittenen Soldaten, die ein
Spalier für die Wissenschaftler bilden.
    Plötzlich hatten sich ganz neue
Denkmodelle aufgetan. Somniak hatte keine Pferde mehr in die Nähe von Ashcroft
bringen müssen oder Ashcroft in die Nähe von Pferden. Alles kam von alleine
zusammen. Er hatte nur noch dafür Sorge tragen müssen, dass die Pferde Ashcroft
töteten.
    Der Rest hatte sich als
Kinderspiel gestaltet. Sein Komplize, bequemerweise ein enger Vertrauter der
Virologin, hatte in ihre Uhr, die sie nur im Labor ablegte und ansonsten Tag
und Nacht trug, einen Sender eingebaut, der, sobald sie die Mitte des roten
Teppichs erreichte, den Posaunenton auslösen würde.
    Währenddessen hatte Somniak
selbst den Trainer der entsprechenden Pferdestaffel bestochen, die Tiere zu
konditionieren, bei Posaunenklängen durchzugehen. Sie würden Ashcroft in Grund
und Boden trampeln.
    Der Plan war absolut makellos und
es bestand nicht die geringste Möglichkeit, ihn zu verhindern. Ashcroft legte
ihre Uhr niemals ab – nicht einmal, wenn sie kaputt war. Der Ton würde also
unweigerlich ausgelöst werden. Und ebenso unweigerlich würden die Pferde bei
diesem Ton durchgehen. Sie waren konditioniert, was bedeutete, dass ihre
Reaktion nicht mehr in ihrem Ermessen lag. Der bedingte Reiz löste die bedingte
Reaktion aus. Sie konnten nicht anders und kein Reiter auf ihrem Rücken würde
in der Lage sein, sie zu bremsen.
    Nur mit Mühe konnte sich Somniak
ein stolzes Lächeln über die Perfektion seines Plans verkneifen. Er würde keine
Reaktion zeigen, Petersen keinen Anhaltspunkt für Spekulationen geben.
    Denn eine einzige Möglichkeit gab
es natürlich doch, das Vorhaben zu vereiteln. Wenn Petersen seinen Plan erriet,
dann würde er veranlassen, die kompletten Reiter abzuziehen. Keine Reiter,
keine Tote. Aber das würde nicht passieren. Noch immer säumten die Pferde den
Teppich, während es nicht mehr lange dauern konnte, bis sein Zielobjekt an der
Reihe war.
    Auf dem Bildschirm trat ein
weiterer Wissenschaftler den Gang über den roten Teppich an. Somniaks Herz
begann nahezu unkontrollierbar zu rasen, als er sah, wer als nächstes in dem
von ihm stark dezimierten Häuflein an Wissenschaftlern bereit stand: eine
leichenblasse, angstvoll umherblickende Dr. Deborah Ashcroft.
    –––––
    Debbie blickte auf ihre Uhr. 13:07.
Warum überhaupt? Was spielte es noch für eine Rolle, wie viel Uhr es war?
Wollte sie ihren Todeszeitpunkt wissen?
    Sie legte den Kopf in den Nacken
und sah in den wolkenlosen Himmel. Hatte wirklich Gott ihren Tod beschlossen?
Schwachsinn. Ein christlicher Fundamentalist, der dummerweise gleichzeitig
alles mitbrachte, was man als psychopathischer Serienmörder brauchte, hatte sie
gecastet, in seinem makaberen Theaterstück mitzuwirken.
    Wollte sie wirklich ihre letzten
Momente damit zubringen, an ihren Mörder zu denken? Gab es keine glücklicheren
Gedanken? Sie dachte an Holger und ein warmer Schauer überkam sie. Hatte er
vielleicht inzwischen eine Reaktion aus Somniak gelesen und veranlasst, was
immer es auch zu veranlassen gab, um ihren Tod zu verhindern?
    Sie hoffte es inständig. Oder
traf vielleicht sogar
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