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Virga 01 - Planet der Sonnen

Titel: Virga 01 - Planet der Sonnen
Autoren: Karl Schroeder
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Kiefer von neuem, am liebsten hätte sie sich umgedreht und auf den unverschämten Jungen eingedroschen. Mit einer gewaltigen Willensanstrengung nahm sie sich zusammen, und allmählich wurde sie ruhiger. Sie freute sich über ihre Selbstbeherrschung. Ich kann ein guter Mensch sein, rief sie sich in Erinnerung.
    »Etwa fünfhundert Meter«, murmelte der Diener kaum hörbar.
    Venera fuhr herum. Er hielt ein paar Schritte Abstand und schien tief in Gedanken versunken. »Was haben Sie gesagt?«, zischte sie.
    »Das Schiff auf dem Bild … war etwa fünfhundert Meter lang«, antwortete er und sah sie verlegen an.

    »Woran sehen sie das? Raus mit der Sprache!«
    »An den Kondensstreifen, gnädige Frau.«
    Sie starrte ihn lange an. Er war tatsächlich noch jung, und das Gesicht mit den ausgeprägten Wangenknochen hätte harmlos gewirkt, wäre die Haut an Stirn und Nase nicht so rot und rau gewesen. Dichtes schwarzes Haar fiel ihm wie eine Rabenschwinge über die Stirn, und um die Augen hatte die Haut wie bei einem Flieger viele feine Fältchen - vom ständigen Zusammenkneifen.
    Entweder war er viel ausgekochter, als sie ihm zugetraut hätte, oder er war ein Idiot.
    Oder, gestand sie sich widerwillig ein, er hatte wirklich keine Ahnung, dass sie sich auf der Damentoilette mit jemandem getroffen hatte, und rechnete nicht damit, dass eine Dame wie sie geheime Informationen bei sich trug. In diesem Fall wären die Aufnahmen für ihn nur Fotos und nichts sonst.
    »Das müssen Sie mir erklären.« Sie suchte die beiden Bilder heraus, auf denen der Koloss zu sehen war, und reichte sie ihm.
    Er war unsicher geworden. »Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen.«
    »Ich will nur wissen, wie Sie zu dieser Schlussfolgerung kommen!«
    Er deutete auf das erste Bild. »Sehen Sie das Bike, das hier vorbeifliegt? Das ist ein Gray Fünfundvierzig, das Standardmodell, und es fliegt mit optimaler Geschwindigkeit, das sind hundertfünfundzwanzig Knoten. Sehen Sie die Form seines Kondensstreifens? Nur bei optimaler Geschwindigkeit franst er so aus. Es fliegt dicht vor den Dockanlagen, daran erkennt man…«
Er zeigte auf das zweite Bild, »dass es hier etwa zweihundert Meter weiter gekommen sein muss, wenn das Dock so groß ist, wie es aussieht. Daraus folgt, das zweite Bild wurde ungefähr zwei Sekunden nach dem ersten aufgenommen.
    Sehen Sie sich nun die Kondensstreifen um das große Schiff an, gnädige Frau. Ich finde auf diesem Bild kein Bike, das kein Gray Fünfundvierzig wäre. Wenn wir also annehmen, dass die weiter entfernten Bikes ebenfalls Grays sind und mit Optimalgeschwindigkeit fliegen, haben die Bikes dicht vor dem großen Schiff seit dem ersten Bild weniger als die Hälfte seiner Länge zurückgelegt. Damit ist es knapp vierhundert Meter lang.«
    »Bei der Mutter Virgas!« Venera starrte erst das Bild und dann den Jungen an. Jetzt fiel ihr auf, dass ihm mehrere Fingerspitzen fehlten: abgefroren?
    Sie nahm die Fotos wieder an sich. »Sie sind Flieger.«
    »Jawohl, gnädige Frau.«
    »Und wieso arbeiten Sie dann als Leibdiener in meinem Haus?«
    »Die Bike-Fliegerei ist eine Sackgasse«, sagte er achselzuckend.
    Sie gingen weiter. Venera ließ sich das Geschehene durch den Kopf gehen. Als sie die breiten, klirrenden Laufstege der Seilbahnstation erreichten, nickte sie knapp und sagte: »Wenn Ihnen Ihr Arbeitsplatz lieb ist, reden Sie mit niemandem über diese Bilder. Sie sind geheim.«
    »Jawohl, gnädige Frau.« Er schaute an ihr vorbei. »Oho.«

    Venera folgte seinem Blick und runzelte die Stirn. Auf dem langen Seilbahnsteg unter den Eisenträgern und den rostigen Stahlkabeln, die sich darüber spannten, drängte sich murrend eine unübersehbare Menschenmenge. Sechs leere grüne Seilbahnkabinen hingen schwankend mittendrin. »Was ist hier los?«, fragte sie einen Flottenoffizier, der in der Nähe stand.
    »Kabel gerissen«, seufzte er. »Ein Scherwind hat die Habitate auseinandergezogen, und die Federung konnte nicht dagegenhalten.«
    »Ersparen Sie mir die Einzelheiten. Wann wird der Schaden behoben sein?«
    »Das müssten Sie die Kabelaffen fragen, und die sind jetzt alle da draußen.«
    »Ich muss aber in den Palast!«
    »Dafür haben die Affen sicherlich Verständnis, gnädige Frau.«
    Sie setzte zu einer Flut von Beschimpfungen an, doch der Diener fasste sie am Arm. »Hier entlang«, murmelte er.
    Venera schnaubte vor Wut, aber sie folgte ihm. Er strebte von der Menge weg auf einen unscheinbaren Seiteneingang zu. »Was ist
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