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Virga 01 - Planet der Sonnen

Titel: Virga 01 - Planet der Sonnen
Autoren: Karl Schroeder
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Reihen blanker Holztische mit Schreibern besetzt, die eingehende Berichte bearbeiteten. Die jeweils neuesten Versionen wurden an ein kleines Heer von Pagen weitergereicht, die steile Leitern zwischen den Tischen hin und her rollten. Hin und wieder hielt einer inne, legte den Kopf in den Nacken, kletterte auf eine Leiter und veränderte die Höhe oder die relative Position eines der
Modelle, die wie ein eingefrorener Fischschwarm über den Köpfen der Schreiber hingen. Zwei Schiffskapitäne und ein Admiral standen so unbeweglich mittendrin, als wüssten sie angesichts der umherflitzenden Leitern nicht mehr ein noch aus.
    Venera schlenderte an die Schranke und klopfte energisch dagegen. Es dauerte eine Weile, bis man sie bemerkte, doch dann verließ ein Page seine Leiter, kam herübergelaufen und verneigte sich.
    »Kann ich bitte den Schlüssel zur Damentoilette haben?«, fragte sie. Der Page zog den Kopf ein, rannte zu einem Schrank in der Nähe und kam mit einem großen verschnörkelten Schlüssel zurück.
    Venera lächelte zuckersüß, doch das Lächeln verrutschte, als ein stechender Schmerz aus ihrem Kiefer nach oben schoss und sich um die Augen legte. Sie wandte sich rasch ab, stolzierte an der Horde von Kurieren vorbei und betrat einen mit Rosenholz getäfelten Korridor an der Rückseite des Vorzimmers. An seinem Ende stand sie vor einer Eichentür mit eingeschnitzten Blauhähern und Finken, glänzend poliert, aber mit einer silbernen Klinke, die lange nicht benützt und dadurch fleckig geworden war.
    Als sie die Tür aufschloss, schickte der Diener sich an, ihr zu folgen. »Sie entschuldigen?«, sagte sie und sah ihn strafend an. Er wurde rot, und Venera nahm ihn jetzt erst richtig wahr: Er war noch recht jung und sah gut aus. Aber: ein Diener.
    Sie schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Der Boden der Toilette war mit einem dicken roten Teppich belegt; die Wandvertäfelung aus Eichenholz war so dunkel gebeizt, dass sie fast schwarz wirkte. Der Raum
hatte keine Fenster, nur hier und dort brannte eine Gaslampe in einem pfirsichfarbenen Wandleuchter. Es gab so viele Stühle und Bänke, dass ein Dutzend Damen hätten warten können, wenn die beiden Kabinen in Benützung waren, aber Venera war hier noch nie einer Geschlechtsgenossin begegnet. Offenbar war sie in der Admiralität die einzige Frau, die ihren Mann jemals im Dienst besuchte.
     
    »Nun«, fragte sie die drei Männer, die sie erwarteten, »Was haben Sie erfahren?«
    »Sieht so aus, als hätten Sie Recht gehabt«, sagte einer. »Capper, zeig der Chefin die Fotos.«
    In einem Sessel mit hoher Lehne, den sie in die Mitte des Raums gezogen hatten, saß ein junger Mann in der Lederkluft eines Fliegers und durchwühlte hilflos die Innentasche seiner Jacke. Sein rechtes Bein war dick verbunden, dennoch drang Blut durch die Bandagen, tropfte auf den Teppich und versickerte im roten Flor.
    »Sieht ganz so aus, als wäre eine Hauptleitung durchtrennt«, sagte Venera und kniff fachkundig die Augen zusammen. Der Junge grinste matt. Der zweite Mann zog mit finsterer Miene eine Aderpresse um den Schenkel des Fliegers fester. Der dritte stand daneben und sah gleichmütig zu. Mit seinem schütteren Haar und den leicht geschürzten Lippen wirkte er harmlos, wie jemand, der sich eher mit Papierstapeln anlegte als mit anderen Menschen. Venera wusste, dass Lyle Carrier, wenn er überhaupt lächelte, Mundwinkel und Augenbrauen auf eine Weise hochzog, die ihn eher verwirrt als belustigt aussehen ließ. Daraus hatte sie
den Schluss gezogen, dass die Empfindungen anderer Menschen für ihn abstrakt und ohne jede Bedeutung waren.
    Tatsächlich war Lyle Carrier ein durch und durch gefährlicher Mann und die einzige halbwegs verwandte Seele, die sie in diesem gottverlassenen Land hatte finden können. Und er war der einzige Mensch, dem sie niemals rückhaltlos vertrauen konnte. Das gefiel ihr an ihm.
    Der junge Mann zog endlich einen Stapel Fotos aus seiner Jacke und streckte sie ihr mit schmerzverzerrtem Gesicht entgegen. Dabei zitterte seine Hand, als wären die Bilder so schwer wie Blei. Venera riss sie ungeduldig an sich und hielt eines nach dem anderen ins Licht einer Gaslampe.
    »Aha …« Das fünfte Foto war dasjenige, auf das sie gewartet hatte. Es zeigte einen bewölkten Luftraum mit einem Spinnennetz von hölzernen Andockvorrichtungen, an denen in einer Reihe viele gedrungene, von Düsen starrende Metallzylinder hingen. Venera erkannte die Bauweise: Es waren schwere
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