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Violas bewegtes Leben

Titel: Violas bewegtes Leben
Autoren: Adriana Trigiani
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geknotet ist, lächelt und stellt den Mikrofonständer ein. Sie sieht eigentlich ganz gut aus mit den hellblonden Haaren und den klaren grünen Augen. Dann holt sie zum K.O.-Schlag aus, während wir – nun ein offiziell aufmerksames Publikum – erschöpft vom Herumrennen um die Tische verteilt sitzen und unser selbst gemachtes Eis verdrücken.
    »Ihr Mädchen seid nicht nur Schülerinnen des unvergleichlichen und wunderbaren Jahrgangs von 2011, ihr tretet gleichzeitig die Nachfolge von Frauen wie Miriam Shropshire, Gloria Tucker und Phyllis Applebaum an …«
    »Wer bitte sind die?«, flüstere ich Marisol zu.
    »Ihr fragt euch bestimmt, wer diese Frauen sind.« Mrs. Zidar schaut mich an, als hätte sie mich gehört. »Nun, sie sind allesamt bedeutende Persönlichkeiten. Miriam Shropshire ist Konzertgeigerin bei den New Yorker Philharmonikern und gründete außerdem ihr eigenes klassisches Trio namens Strings Three, das seit drei Jahrzehnten weltweit in Konzerthäusern gastiert. Gloria Tucker war die Trainerin der Speerwurfmannschaft bei den Olympischen Spielen 1972, und Phyllis Applebaum wurde als erste Frau Vorsitzende der Nationalen Vereinigung der Gartenclubs …«
    »Was? Mehr hat sie nicht zu bieten?« Resigniert lasse ich den Kopf auf den Tisch sinken. Offenbar ist es Mrs. Zidar entgangen, dass Frauen heutzutage Unternehmen leiten, für das Präsidentenamt kandidieren und sogar fast gewählt werden, Firmen gründen und erfolgreiche Künstlerinnen sind. Da ist es doch so was von retro, irgendwelche Blumengestecks-Frauen aufzuzählen. Doch das ganze Geschwafel über berühmte Absolventinnen soll uns nur auf die eigentliche Botschaft ihrer Rede vorbereiten. Sie weiß, dass wir von unseren Eltern hierher abgeschoben wurden, zum ersten Mal weg von zu Hause, und ein paar von uns mögen das ja toll finden, aber den meisten gefällt es gar nicht. Sie versucht, diejenigen unter uns, die keine Lust auf die schöne Seite des Lebens haben … nun ja, auf die schöne Seite des Lebens zu zerren. Zu gerne würde ich jetzt Andrew eine SMS schicken und ihm erzählen, wie langweiligund schrecklich es hier ist, nur hat man uns leider verboten, während des Picknicks die Handys zu benutzen.
    Mrs. Zidar schwadroniert weiter und drischt Phrasen wie »Trennungsangst«, »an Eltern Stelle« und »die goldene Regel« in einer Rede, die ebenso fade ist wie die Dosenbohnen, die ich zusammen mit dem Hotdog und einem eiskalten Brötchen gegessen habe.
    Unsere ach so pflichtbewusste Schülermentorin Trish steht neben dem Zelt und beobachtet uns. Sie lächelt und winkt, als ich sie anschaue. Es war ein langer Tag, aber Trish ist immer noch so quietschfidel, als wäre es früh am Morgen. Ich glaube, Mrs. Zidar hat sie absichtlich dort postiert, um uns zu zeigen, dass es eine ältere Schülerin gibt, mit der wir reden können, wenn wir einen Nervenzusammenbruch haben oder wenn die neuen Mädchen endlich begreifen, dass wir hier festsitzen bis zum nächsten Sommer, der etwa tausend Jahre weit entfernt scheint.
    Die Sonne geht unter und nimmt den letzten Rest Septemberwärme mit sich. Der Indiana-Himmel über unserem Picknickzelt verwandelt sich in ein tiefes Blau mit lavendelfarbenen und orangenen Streifen. Einige vereinzelte Wolken ziehen auf die flache Linie des Horizonts zu. Es ist fast dunkel. Ein Schauer fährt mir über den Rücken.
    Während Mrs. Zidar ihre Rede beendet und die Sonne verschwindet, breitet sich unter den Zeltdächern das Heimweh aus wie Windpocken. Die Nacht ist immer am schlimmsten für jede Art von Traurigkeit. Die Dunkelheit begräbt einen unter sich, und man fühlt sich noch schlechter.
    Außerdem scheint sich die Nacht immer doppelt so lange hinzuziehen wie der Tag, sodass man doppelt so lange Zeit hat, unglücklich zu sein.
    Mrs. Zidar breitet die Arme aus. Sie lächelt und sagt: »In ein paar Jahren werdet ihr mit großer Verbundenheit an diese Tage zurückdenken. Das weiß ich. Ich war nämlich in der Abschlussklasse von 1979.«
    »Gab es die Eismaschinen damals schon?«, rufe ich. Lautes Gelächter erfüllt die Zelte.
    »Aber sicher«, antwortet Mrs. Zidar vom Podium herab. »Zum Beweis brauchst dir nur meinen Bizeps anzuschauen.«
    Endlich zeigt Mrs. Zidar etwas Humor. Während sie die Kärtchen mit ihrer Rede zusammensammelt, schauen einige prüfend auf ihre Handys (endlich), andere stehen auf, aber die meisten bleiben sitzen. Es ist, als würde keine von uns wollen, dass der Abend zu Ende geht, als
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