Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Villa Oma

Villa Oma

Titel: Villa Oma
Autoren: Ilse Kleberger
Vom Netzwerk:
heute war keine Schule, und er konnte den ganzen Tag über tun, was er wollte. Zuerst würde er zu seinem Freund Frieder auf den Bauernhof gehen und sehen, wie es dem Fohlen ging, das dort gestern geboren worden war. Danach würde er — doch das wollte er sich nach dem Frühstück überlegen. Er hatte einen Mordshunger. Er betrat die Küche, wo Brigitte, Peter und der kleine Rolf schon am Frühstückstisch saßen und etwas blaß und besorgt aussahen. Was war denen in die Quere gekommen? Lehrer Pieselang las in der Sonntagszeitung, und vom Hof herüber ertönte das „ Puttputtputt “ der Mutter, die dort die Hühner fütterte. Oma stand am Herd und summte vor sich hin.
    „Ich hab dir deinen Sonntagsanzug überbügelt“, sagte sie munter und zeigte mit dem Kochlöffel auf Jans blauen Anzug mit den langen Hosen, der steif auf einem Kleiderbügel an der Tür hing.
    Jan sah verblüfft aus. „Warum soll ich denn den guten Anzug anziehen?“ fragte er. „Im Stall macht man sich so leicht dreckig.“
    „Du machst einen besseren Eindruck, wenn du ordentlich gekleidet bist“, meinte Oma.
    Jan überlegte. Warum um Himmels willen sollte er bei Frieders Pferden einen guten Eindruck machen? Oma verschwand in der Speisekammer.
    „Und sieh mal“, rief sie, als sie daraus wieder auftauchte, „ist der nicht schön? Der wird ihr sicher gefallen.“
    Sie schwenkte in der Hand einen großen Strauß von leuchtend bunten Astern. Jan dachte noch immer an Frieders Pferde und wunderte sich, daß er der Stute Pamina zur Geburt ihres Fohlens einen Strauß mitbringen sollte. Plötzlich aber fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Oma dachte gar nicht an die Stute Pamina, sondern an die dicke Dame. Und es schien bei Oma ganz gewiß zu sein, daß er hingehen und sich entschuldigen würde. Er wußte nicht mehr, was er gestern gesagt hatte. Hatte er sich wirklich dazu bereit erklärt? Er konnte sich gar nicht erinnern. Es mußte Wohl doch so sein, sonst wäre Oma nicht; so sicher. Der Morgen schien ihm plötzlich gar nicht mehr fröhlich, sondern traurig und düster zu sein. Als Mutter hereinkam und sie anfingen zu frühstücken, schob Jan die Milchbrötchen fort. Er hatte keinen Appetit mehr. Nach dem Frühstück stand er schweigend auf, nahm seinen Anzug vom Haken und zog sich in seinem Zimmer um. Als er in die Küche zurückkam, um den Blumenstrauß zu holen, fragte er, nachdem er gesehen hatte, daß Vater und Mutter nicht in der Nähe waren:
    „Aber was soll ich denn sagen?“
    „Nun“, sagte Oma, „das ist nicht schwer. Du sagst, daß es dir leid tut. Du hättest die Pflaumen genommen, weil du dachtest, das dürftest du. Du wärest in den Park nur reingeklettert, weil die Dame dich am Vormittag ,Dieb’ gerufen hätte. Das wäre von dir bestimmt nicht recht gewesen und du möchtest um Entschuldigung bitten.“ Brigitte und Peter, die gewartet hatten, sprangen auf.
    „Wir bringen dich hin“, sagte Brigitte. Als sie vor dem Haus standen, meinte sie plötzlich: „Wir nehmen den Rolf mit.“
    „Das Baby?“ fragte Jan finster. „Was willst du denn mit dem?“
    „Du weißt, daß alle Damen den Rolf immer süß finden, und wenn die dicke Dame ganz böse ist, lassen wir ihn weinen.“
    Nun gut, Rolf konnte vielleicht ganz nützlich sein. So lief Brigitte schnell noch einmal zurück, um ihn zu holen. Rolf war ein reizender kleiner Kerl von vier Jahren. Er sah ganz anders aus als die übrigen Pieselang-Kinder, die blond und kräftig und rotbäckig waren. Rolf war zart und klein und hatte den ganzen Kopf voller dunkelbrauner Locken und große goldbraune Augen, die er so unschuldig aufschlagen konnte, daß kaum eine ältere Dame an ihm vorbeiging, ohne zu sagen:
    „Wie süß, was für ein entzückendes Kind!“
    Und wenn er lächelte, kramten sie in ihren Taschen nach Bonbons und Schokolade. Rolf hatte davon immer etwas in der Hosentasche und war sehr freigebig gegen die Geschwister. Wenn er weinte, konnte er beinahe alles erreichen, was er wollte. Warum er jetzt mitkommen sollte, verstand er zwar nicht. Er hörte aber interessiert zu, wie Jan die Entschuldigungsrede übte und Brigitte ihm immer wieder vorsagte, wenn er nicht weiter wußte. Der Weg fiel ihnen heute recht schwer. Wie lustig war es dagegen gestern gewesen, als Jan und Peter die gleiche Straße entlanggewandert waren und Peter Pfeifen und Käuzchenschreie geübt hatte.
    Finster und abweisend sah das große Haus aus, als sie dort ankamen. Jan, der alles möglichst
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher