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Vier Äpfel

Vier Äpfel

Titel: Vier Äpfel
Autoren: David Wagner
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eingesteckt haben. Erst recht, wenn ich nichts gekauft habe und durch die Schranken am Ausgang hindurchmuß, prüfe ich immer noch einmal, ob ich nicht etwas in meine Jackentasche getan habe, eine Packung Batterien, ein Mobiltelephon, bei dem sich das Sicherheitskabel gelöst hat, oder eine kleine Spielkonsole. Könnte ja sein, daß das ganz von allein da hineingewandert wäre. Heute hier im Supermarkt muß ich keinen Rucksack und keinen Einkaufsbeutel in meinem Wagen anheben, ich habe ja wieder nichts Derartiges dabei, weshalb ich mich nach einer Plastiktüte bücken muß, eine kleine wird wohl reichen, denke ich und ärgere mich gleich, daß ich die Plastiktüten hier bezahlen muß, sie im Biomarkt aber umsonst bekomme.
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    Die Plastiktüte und dann auch das Ding, für das es keinen richtigen Namen gibt, lege ich ebenfalls auf das Band. Ich meine die Kassen-Toblerone, das Trennholz, das hier aus rotem Kunststoff besteht und mit dem Supermarktlogobedruckt ist. 49 Mit ihm signalisiere ich der Kassiererin, wo der Bereich, in dem sich die Waren befinden, für die ich aufzukommen bereit bin, endet. Mein Zögern, diesem Gegenstand, mit dem ich eine Grenze ziehe, einen Namen zu geben, paßt zu der beinah beklemmenden Verlegenheit, die mich überkommt, wenn ich ihn dem Kunden hinter mir, einem Mann, den ich bisher gar nicht zur Kenntnis genommen, ja überhaupt noch nicht bemerkt habe, so wie die Frau vor mir wahrscheinlich mich noch nicht bemerkt hat, vor die Nase setzen muß. Schöner wäre es doch, wenn wir alle gemeinsam einkaufen und essen würden, ein Wunsch, bei dem es sich vermutlich um einen Höhlenatavismus handelt. Ich würde das große, zusammen erlegte Mammut lieber teilen und ein großes Festmahl feiern, statt dessen muß ich kleinlich Warentrenner legen.
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    Manchmal kommt es mir vor, als könnte ich mich ans Jagen erinnern, einen Speer in der Hand, unterwegs in der Savanne. Eine Million Jahre Jagen und Sammeln, achttausend Jahre Landwirtschaft, neunzig Jahre Supermarkt. Kein Wunder, daß ich verwirrt bin, es ging doch alles ziemlich schnell.
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    In einem Spiegel, der schräg über dem Kassengang hängt, kann die Kassiererin beobachten, ob ich versuche, etwas durch den toten Winkel unterhalb des Verhaus zu schieben, in dem sie sitzt. Dort oben an der Decke, nur ein Stück weiter Richtung Backwarenstand und Ausgang, hängen seit einiger Zeit auch großformatige Flachbildschirme, auf denen Werbung zu sehen ist, Standbildreklamen für kleinere Geschäfte der Umgebung, eine Reinigung, ein Laden für Umstandsmode, ein Reisebüro und eine Pizzeria, in der ich noch nie gewesen bin, preisen sich an. Das Unbeholfene, da war keine große Agentur am Werk, erinnert an die nicht selten ausgeblichenen Werbedias, die früher in kleinen Kinos vor den aufwendigen Spots der Zigaretten- und Getränkekonzerne gezeigt wurden und, untermalt von einer sich um Euphorie und Glaubwürdigkeit bemühenden Stimme, für den gemütlichen Griechen um die Ecke, einen Optiker oder eine Sauna warben. 50
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    Auf einmal habe ich wieder den Geschmack von bröselnder Fischstäbchenpanade auf der Zunge, ein Bröckchen klebt mir am Gaumen, obwohl ich weiß, das kann nicht sein. Ich habe keine Fischstäbchen gegessen, schon lange nicht mehr. Mir ist, was für ein sonderbares Gefühl, als wäre ich vor Jahren von zu Hause fortgeschickt worden, um Milch und anderes einzuholen, an das ich mich nicht erinnern kann, hätte jedoch bis heute nicht zurückgefunden. Offenbar habe ich mich im Wald, vielleicht aber auch im Neubaugebiet verlaufen, bin vom Weg abgekommen, weil die Vögel die Brösel und Panadenkrümel aufgepickt haben, die ich ausgestreut hatte. Oder die Kehrmaschine ist vorbeigefahren und hat sie alle aufgekehrt.
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    Die Frau im Sommerkleid, mir fällt noch einmal auf, wie schön ihr langer Hals ist, räumt ihre Einkäufe zurück in den Wagen. Leider haben wir nicht genau die gleichen Dinge ausgesucht, sie ist also doch nicht die Frau aus dem Traum, der ich eines Tages begegnen werde, eben hatte ich mir kurz gewünscht, es wäre so. Die beiden Mädchen, die ich bei den Zeitschriften belauscht habe, bevor sie dann wohl in einer anderen Schlange gewesen sind, gehen kichernd vorbei, eine von ihnen läßt eine große Kaugummiblase platzen, ein weißer Kaugummirest bleibt ihr auf der Nasenspitze kleben. Die Frau vor mir hat ihr Portemonnaie geöffnet, zieht einen Schein hervor und sucht nach Münzen, um der Kassiererin das Herausgeben zu
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