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Vier Äpfel

Vier Äpfel

Titel: Vier Äpfel
Autoren: David Wagner
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einmal, im Sommer, an ihrer Unterhose vorbei oder, weil es sich um eine spitzendurchbrochene handelte, durch sie hindurch auf ihre schwarzen Schamhaare sehen können, aber wahrscheinlich habe ich das später hinzuerfunden, die tatsächlichen und phantasierten Bilder verschwimmen mir hier. Ich erinnere mich aber genau, daß sie mich öfter angefaßt hat, als es beim Flötenunterricht nötig gewesen wäre, sie hat sich zum Beispiel, was mir sehr gefiel, nicht selten so hinter mich gestellt, daß mein Kopf auf oder zwischen ihren Brüsten lag, und ihre Arme dann um mich herum geschlungen, um mir den einen oder anderen Griff zu zeigen. Ich hatte nichts dagegen und gab mich noch ein wenig ungeschickter, als ich eh schon war, denn meine Hinterkopfhaut lag ja gern auf ihrem Busen. Sie roch, das fällt mir jetzt ein, nach einer hellen Naturseife, mit Lindenblüten womöglich, ein Frühsommerduft ungefähr so, wie Waschmittelwerbung, falls sie röche, riechen würde.
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    Macht doch mal noch ’ne Kasse auf, ruft der Mann mit den Streuselkuchen im Einkaufswagen, der mir eben einen so bösen Blick zugeworfen hat. Hat er es eilig? Hat der Kindergeburtstag etwa schon angefangen? Ich rücke wieder ein Stück vor und streife mit dem Hosenbein einen der drei Fertigsträuße, die in einem Gestell unmittelbar vor dem Kassenbereich stehen, gelbe Rosen, die ihre Köpfe schon angewelkt hängen lassen. Die beiden anderen Sträuße sehen frischer aus, trotzdem habe ich das Gefühl, daß auch sie an mein Mitleid appellieren, hab Erbarmen, bitte kauf uns, flüstern sie mir müde zu. Vorgestern oder vorvorgestern waren die Blumen vielleicht noch in einem großen, dunklen Kühlhaus in Flughafennähe, davor in einem Gewächshaus in Holland oder Kenia. Ich bin zu faul, mich zu bücken und nachzusehen, ob an ihnen nicht ein Etikett klebt, das eventuell verrät, wo sie gewachsen sind, nein, ich lasse mich nicht erweichen, ich kaufe keine Blumen mehr. Wenn L. für uns oder für irgend jemand, bei dem wir eingeladen waren, Blumen kaufen wollte, hat sie immer unendlich lange gebraucht und ist oft in mehrere Geschäfte gegangen, bis sie endlich die Blumen gefunden hatte und zu einem Strauß binden ließ, der ihrer Vorstellung von einem Blumenstrauß nahekam oder, in besonders glücklichen Fällen, dann war sie froh und zufrieden mit der Welt, sogar entsprach.
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    Vielleicht liegt es an den Süßigkeiten, die hier, an dieser Engstelle vor der Kasse, auf Greif- und Augenhöhe ausliegen, daß ich an den kleinen Lebensmittelladen denken muß, den es, das ist bald dreißig Jahre her, schräg gegenüber vondem Haus gegeben hat, in dem ich aufgewachsen bin. Am frühen Nachmittag ging ich über die Straße und kaufte mir für ein paar Groschen Weingummi-Colafläschchen, Mäusespeck oder, wenn es heiß war, Wassereisstangen in daumendicken, durchsichtigen Plastikschläuchen, die sich nur mit den Zähnen öffnen ließen. Die Münzen waren entweder von meinem Taschengeld übrig, oder ich hatte sie mit einem langen Messer aus meiner Sparbüchse gefischt, in die ich, meist unter Aufsicht, kleine Geldbeträge einwerfen mußte. Mit ein wenig Übung und starkem Willen bekam ich aus ihr das meiste Kleingeld mit einer dünnen Klinge wieder heraus – nur daß der Lack um den Einwurfschlitz herum abblätterte, hätte verraten können, daß ich mich hin und wieder an dieser Sparbüchse zu schaffen machte. 44 Ging ich, etwa um mich vor den langweiligen Hausaufgaben zu drücken, in den Laden, schien Herr Weidmann schon auf mich zu warten, aber wahrscheinlich verdankte sich dieser Eindruck bloß seiner Fähigkeit, jedem Kunden das Gefühl zu geben, er sei ein Freund und jederzeit willkommen. Er trug einen weißen Kittel und hatte fast immer eine Etikettierpistole in der Hand, mit der er den einen schmalen Gang seines Ladens auf und ab marschierte, um jeden Artikel auszuzeichnen. Obwohl der Verkaufsraum sehr überschaubar war, gab es Einkaufskörbe mit Klapphenkeln aus Draht und sogar zwei kleine Einkaufswagen, die allerdings nicht gleichzeitig benutzt werden konnten, weil sie im Gangkaum aneinander vorbeipaßten. Alles sollte sein wie in einem der Supermärkte, die es gar nicht weit entfernt, gleich hinter dem Neubaugebiet, in der Nähe des Haupteingangs der Nervenklinik gab und ihm nach und nach die Kunden wegnahmen. Herrn Weidmann blieb gar nichts anderes übrig, als alles selbst zu machen, Angestellte konnte er sich nicht leisten. Hinter seiner schmalen Kühltheke
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