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Vier Äpfel

Vier Äpfel

Titel: Vier Äpfel
Autoren: David Wagner
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erkennen. 48 Jede erfolgreiche Lektüre wird durch einen kurzen Ton bestätigt, ein dezentes Piepsen, das sich in die Kakophonie der Kassenbrandung mischt.
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    Während sie eine Flasche Wasser mit Orangenaroma über den Scanner zieht, denke ich wie immer, wenn ich sie da sitzen sehe, eigentlich ist sie viel zu hübsch, um hierzu sitzen. Sie sieht aus wie die Supermarktkassiererin in einem Film, der davon handelt, daß ein Mann jeden Tag in einen Supermarkt geht, weil er sich in die Frau an der Kasse verliebt hat. Wartet meine Lieblingskassiererin etwa darauf, von hier weggeheiratet zu werden? Träumt sie davon, eines Tages vom richtigen Mr.   Right, ihrem Traummann, dem Prinzen, angesprochen zu werden und mit ihm auf seinem stolzen Roß ins Land der Erfüllung aller Wünsche zu reiten? Will es vielleicht mein Schicksal, daß ich heute hier um ihre Hand anhalte? Könnte ich dann endlich L. vergessen? Leider, ich ahne es, bin ich nicht dieser Prinz, die Prinzenrolle liegt mir nicht. Und außerdem, wer weiß, ist die Kassiererin, sie sieht ja tagtäglich viele Männer an sich vorüberziehen, am Ende sehr wählerisch und denkt, ach nein, der atmet zu laut, der ist zu jung und der zu alt, der ist zu dick und der nicht groß genug, und da sind ja auch noch diese Härchen auf den Wangenknochen, ein Flaum, den ich nicht ausstehen kann, und, und, und – was sie eben alles so denken könnte, etwas stört ja immer. Trotzdem, meine Lieblingskassiererin – vielleicht ist nicht sie kompliziert, vielleicht bin nur ich es – lächelt mich an, obwohl ich noch gar nicht an der Reihe bin, sie hat mich erkannt. Oder bilde ich mir bloß ein, daß sie mich erkannt hat und deshalb lächelt? Bestimmt lächelt sie jeden so an, weil sie das in einer Mitarbeiterschulung gelernt hat. Ich habe mich schon einmal gefragt, ob ich sie nicht mit einer Auswahl besonders ausgefallener Produkte beeindrucken könnte. Womöglich habe ich schon angefangen, manche Dinge bloß zu kaufen, weil ich in ihrem Ansehen steigen möchte? Kaufe ich deshalb keine Tiefkühlpizza mehr und manchmal sogar frisches Gemüse? Könnte ich sie mit einer außergewöhnlichen, magischen Zusammenstellung von Lebensmittelndazu bringen, aufzustehen, alles liegen zu lassen und mit mir durch die Schiebetür zu verschwinden? Was müßten das für Produkte sein? Eines Tages, da bin ich mir ganz sicher, wird das Kassendisplay blinken, weil der Barcodeleser ganz unbemerkt die Konstellation der Leberflecke auf meinem linken Handrücken gelesen hat und dank einer bis dahin in den Tiefen des Systems verborgenen Sonderfunktion herausfindet, daß sie und ich, wir beide, zusammengehören. Für immer. Ich lächle sie an, aber die Lieblingskassiererin ist schon wieder, nur eine Millisekunde hat sie zu mir herübergesehen, mit dem Einkauf der Frau vor mir beschäftigt. Vielleicht ist sie ein Roboter und kein Mensch, sie sitzt, das macht die Sache verdächtig, fast immer hier. Die paar Mal, die sie nicht hier saß, war sie wohl nur zur Wartung und Pflege in einem der Hinterzimmer, wahrscheinlich läßt sie sich auf ihrem Stuhl, der unten Rollen hat, ganz leicht von ihrer Kasse in den versteckten Wartungsbereich schieben und dort in einen Ruhezustand versetzen.
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    Und wieder bewundere ich ihre unnachahmliche Handbewegung. Sie beugt ihr Handgelenk, streckt die Finger und berührt das Joghurtglas nur mit den Fingerspitzen. Ich glaube, sie hat unsichtbare weiße Stoffhandschuhe an, wie Juweliere sie tragen, wenn sie sehr wertvollen Schmuck vorführen. Hin und wieder blitzt es rot aus dem Scannerfeld, und es sieht aus, als hantiere sie tatsächlich mit Rubinen, dabei ist das, was da leuchtet, nichts anderes als der Laserstrahl, der den Barcode liest. Im selben Augenblick weiß das automatische Warensystem, daß es in diesem Supermarkt ein Joghurtglas weniger gibt.
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    Auf dem Band ist nun Platz, und ich stelle die Milch und den Honig darauf, lege das Tütchen von der Fleischwarentheke, die Äpfel und Zitronen und die restlichen Sachen dazu und schaue nach, ob nichts im Wagen geblieben ist. Ich weiß, daß die Kassiererin jeden bitten muß, Taschen, die noch im Wagen stehen, hochzuheben, um zu prüfen, ob unter ihnen nicht etwas vergessen oder vielleicht sogar versteckt worden ist. Danke, sagt sie dann immer besonders freundlich, als ob sie sich für diese leider notwendige Kontrolle entschuldigen wollte. In großen Elektronikmärkten habe ich oft Angst, ich könnte aus Versehen etwas
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