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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
Autoren: Max. A Hoefer
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der Hand, wie sie auf uns wirken. Das Gelingen unserer Partnerschaft, aber auch der Erfolg im Beruf hängt natürlich auch von unserem persönlichen Verhalten ab. Bei vielen Glücksgütern ist es aber nötig, dass die Gesellschaft umsteuert, indem sie sich vom reinen Wachstums- und Steigerungskurs abwendet.
    Der Staat hat die Glücksgüter nicht zu garantieren, sondern die Rahmenbedingungen so zu legen, dass die Glücksgüter besser erreichbar sind. So hat die Glücksforschung ergeben, dass das längere Pendeln vom Wohnort ins Büro ein großer Glückskiller ist. Schon ab 200 Kilometer Fahrtweg pro Woche steigt die Unzufriedenheit signifikant an. Der Staat ignoriert allerdings diese Fakten. Er subventioniert den Verkehr heute genauso wie zu Zeiten des Wirtschaftswunders. Damals wurden auf deutschen Verkehrswegen 90 Milliarden Kilometer im Jahr gefahren, heute sind es 900 Milliarden Kilometer. Hier muss der Staat eindeutig umsteuern und die Steuerfreiheit von Flugbenzin ebenso beenden wie die Entfernungspauschale und die Subventionierung des Bahn- und Nah-Verkehrs.
    Die Anhänger des alten Wachstumsmodells werfen der Idee des guten Lebens gern vor, dass sich der Staat in die Entscheidungen der Bürger einmischt und ihnen zu viele Vorschriften machen will, wie sie zu leben haben. Die jahrzehntelange staatliche Förderung des Verkehrs ist ein gutes Beispiel für bestehenden schlechten Paternalismus. Dagegen sagen die Wachstumsanhänger allerdings nichts, weil er der Produktion und dem Konsum dient, also Werten, die ihnen wichtig sind. Eine Politik des guten Lebens orientiert sich aber an der Lebenszufriedenheit und die wird durch die Expansion des Verkehrs nachweisbar vermindert.
    Es gibt so gut wie keinen Markt, der nicht dirigiert wird. Die Förderung der Finanzindustrie – von den »vermögenswirksamen Leistungen« bis zu den Milliardenhilfen für Banken jetzt in der Finanzkrise – ist ein weiteres Beispiel für fragwürdigen Paternalismus. Anderseits fördert der Staat auch Ehe und Familie und damit zwei ausgewiesene Glücksgüter, die auch vom Konzept des guten Lebens gefördert werden würden. Der Vorwurf des Paternalismus bringt uns also nicht weiter, weil er alle Lager betrifft. Es muss darum gehen, die Prioritäten neu zu setzen und die Rahmenbedingungen für Glücksgüter zu verbessern. Ein gutes Leben kann nur selbstbestimmt sein. Also muss die Gesellschaft darüber nachdenken, wie sie die Fremdbestimmung derer vermindert, die in der Tretmühle laufen. Alles, was die Tretmühle verlangsamt, ist ein Schritt zumehr Selbstbestimmung und Glück.
    1 Foti 2011.
    2 Wolf-Meyer beschreibt den normierenden Einfluss des Kapitalismus auf die Schlafgewohnheiten der Amerikaner, von Thomas Edison, der Schlafen für unnötig hielt bis zum Verbot von Nickerchen in der US-Marine. Vgl. Wolf-Meyer 2012.
    3 So hängt die Fähigkeit, sich an Nachtschichten anzupassen, stark vom Chronotyp ab. Spättypen fällt die Anpassung leichter, während Frühtypen sich praktisch gar nicht anpassen können. Dies müsste bei der Einteilung von Schichtarbeit berücksichtigt werden, weil langjährige Schichtarbeit zu einer dauerhaften Beeinträchtigung der Gesundheit führen kann (Roenneberg 2012).
    4 Andererseits kann es Phasen geben, wo etwas Arbeit dem Menschen ganz gut tut. Rentner erleben den abrupten Ausstieg oft als Schock. Das muss nicht sein.
    5 Diese aggregierten Zufriedenheitswerte haben eine objektivierende Aussagekraft auch für die Politik. Obwohl jeder Einzelne etwa von Krankheit unterschiedlich stark beeinträchtigt wird, ist Krankheit für den Durchschnitt der Deutschen ein wichtiger Faktor der Unzufriedenheit. Die durchschnittliche Effektstärke dieser »Glücksgüter« bzw. »Glückskiller« ermittelt die Lebenszufriedenheitsforschung.

Bibliografie
    Appleby, Joyce: The Relentless Revolution. A History of Capitalism . New York 2010.
    Barbrook, Richard und Cameron, Andy: »The Californian Ideology«, in: Science as Culture . 26/1995, S. 44–72.
    Baum, Antonia: »Töchter einer Revolution«, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 23.12.2012.
    Becker, Gary S.: Der ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens . Tübingen 1993.
    Bell, Daniel: The Cultural Contradictions of Capitalism . New York 1976.
    Berg, Sibylle: »Mein Mitleid mit den Bluffern«, in: S.P.O.N. – Fragen Sie Frau Sibylle vom 09.02.2013.
    Biesecker, Adelheid: »Vom (Eigen)Wert der Zeit: normative Grundfragen der Zeitökonomik bezüglich
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