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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
Autoren: Max. A Hoefer
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Schulden hatten schon die spanischen Könige, sogar bei Deutschen, den Fuggern. Schon Hunderte Male in der Geschichte gingen Länder Pleite, nie wären die Menschen auf die Idee gekommen, deshalb ihre Kultur aufzugeben. Jetzt sollen sie es tun.
    Dabei ist der Untergang der Siesta nur ein weiterer Triumph der puritanischen Kultur in ihrem Kreuzzug gegen den Schlaf und das gute Leben, denn beides wird mit Faulheit und Gotteslästerung gleichgesetzt. Wie wir in den vorigen Kapiteln gesehen haben, ist ihr vor allem der Schlaf seit jeher verhasst. Wer schläft, raubt Gott den Tag, er verdient nichts, er verschwendet den Profit, den er in dieser Zeit hätte erarbeiten können. Der globale Kapitalismus macht systematisch aus der Nacht einen Tag. 24 Stunden, 7 Tage die Woche, ununterbrochen muss alles verfügbar sein, denn immerzu könnte jemand ein Konsumbedürfnis haben, das zu befriedigen Profit bringt. Wer Pech hat und in einem Callcenter in Indien arbeitet, muss seine Nächte dem Job opfern. Der globale Kapitalismus kolonisiert den Schlaf.
    Wieso auch sollte er auf unser Schlafbedürfnis Rücksicht nehmen, das tut er doch nicht einmal in seinem Mutterland. Die Amerikaner haben sowohl die kürzesten Ferien als auch die kürzesten Mittagspausen. Ein chronisches Schlafdefizit ist der Normalfall. 1 Die National Sleep Foundation hat ermittelt, dass viele unter der Woche weniger schlafen und die verlorene Nachtruhe dann am Wochenende nachholen. Natürliche Schlafrhythmen gelten nichts mehr, am liebsten würden die Leistungsfetischisten sie abschalten. Die Folge sind wachender Schlafmittelmissbrauch und eine Zunahme der Einweisungen in Schlafkliniken. 2 Außerdem steht der Schlafmangel im Verdacht, nicht unmaßgeblich zur »Verfettung« (Adipositas) der Menschen beizutragen. Hier unterscheiden sich die Prioritäten: Würde unsere Kultur das gute Leben schätzen, wären die Erfordernisse der Produktion weniger wichtig als unser Biorhythmus. Dann würden wir auf unsere innere Uhr achten, die den Schlaf-Wach-Rhythmus bestimmt. Dann wären wir weniger müde, besser gelaunt und seltener krank. 3 Aber das steht nicht zu erwarten. Kürzlich zeigte eine Weltkarte der Royal Astronomical Society wie weit das Ende der Nacht schon fortgeschritten ist. Künstliches Licht hellt den Nachthimmel immer weiter auf, damit Menschen immer mehr arbeiten und länger konsumieren können.
    Wir müssen den Kampf um das gute Leben als einen Kulturkampf begreifen. Dabei geht es um so elementare Dinge wie den Schlaf. Wir sollten in diesem Punkt an der Seite der Spanier stehen. Lassen wir die Banken Pleite gehen, sie sind es nicht wert, dafür noch härter zu arbeiten. Außerdem sind es die Finanzmärkte, die mit ihren überzogenen Renditeerwartungen die Steigerungsspirale antreiben. Der kleine Mann hat dabei, wir ahnen es, am wenigsten zu verlieren, die Banker und die reichen Investoren am meisten. Es wäre kein Weltuntergang, sondern ein Durchatmen.
    Wie wollen wir leben? Diese Frage ist unserer Kultur verloren gegangen. Das ursprüngliche europäische Ideal des gelungenen Lebens, das eine rechte Balance zwischen den Extremen vorsah, haben die Puritaner durch Nutzenmaximierung ersetzt. Damit ist zunächst einmal klar, was wir nicht wollen: Immer mehr Arbeit, permanente Verfügbarkeit, genusslosen Konsum, ständige Selbstoptimierung, täglichen Tugendterror. Ich habe darauf hingewiesen, dass wir den inneren Puritaner in uns loswerden sollten. Wer es schafft, sich von dessen Imperativen zu befreien, wird weniger erschöpft sein. Er wird nicht mehr perfekt sein müssen: beruflich, persönlich und moralisch.
    Am Beginn dieses Buches habe ich mich gefragt, welche Alternative ich denn zur Immer-mehr-Ideologie vorschlagen könnte. Am Ende des Buches weiß ich es: Wir müssen uns entschleunigen. Der Steigerungswahn tut uns nicht gut. Das Ziel sollte sein, weniger zu arbeiten und zu konsumieren und dafür mehr Zeit für Muße und andere Glücksgüter zu haben.
    Auch ich antworte mit diesem Buch auf das weit verbreitete Gefühl, dass etwas nicht stimmt in dieser Gesellschaft. Die Menschen sind höchst unzufrieden mit der Ruhelosigkeit, der Beschleunigung, dem Dauerstress in allen Bereichen ihres Lebens, aber sie arbeiten sich dennoch unentwegt beruflich, persönlich und moralisch ab – ohne zu wissen wofür. Dass sie das tun, ist das eigentlich zu Erklärende. Wir tun es, weil wir alle, mehr oder weniger stark, eine Mentalität verinnerlicht haben, die uns für
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