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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
Autoren: Max. A Hoefer
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Umsätze und Profite der Industrie, sondern die Körperfeindlichkeit, Körperoptimierung und die erwarteten Kontrollzwänge, also einmal mehr Max Webers »stahlhartes Gehäuse«.
    Wir müssen uns die Wertschätzung der Normalität zurückerobern.
    Das erschöpfte Selbst und die allgemeine Überforderung kommen auch hier vom Verlust der Mitte. Es reicht nicht, sich in einer Normalität einzurichten, die zu einem passt, es muss stets mehr sein. Die Steigerungslogik will nicht nur mehr vom selben, sondern Neues und Außergewöhnliches. Schon der frühere Anspruch, im Leben ein Kind zu zeugen, ein Haus zu bauen und einen Baum zu pflanzen, war ambitioniert. Darin lag der Wunsch verborgen, anzukommen, einen Ort zu haben, wo man lebt, eine Familie zu gründen, die man liebt, und eine Hoffnung zu haben, die einem mit dem Schicksal versöhnt. Das reicht nicht mehr. Die Kräfte der Maximierung haben ihren größten Feind in der Normalität. In Menschen, die genug haben und sich dort engagieren, wo es ihrem inneren Wachstum und ihrer Zufriedenheit dient. Menschen, die das gute Leben leben wollen, schaffen sich Normalität. Die puritanische Maximierungskultur will Unruhe und dauerhafte Optimierung, sie will die ewige Unzufriedenheit, weshalb sie alles bekämpft, was zur Normalität beiträgt. Die Vergangenheit wird entwertet, denn der Fortschritt macht alles besser. Traditionen sind schon definitionsgemäß schlecht, denn die Innovationen verbessern alles. Aktuell ist es der digitale Kapitalismus, der eine ungeahnte Konsum- und Lebenswelt des Erlebens und der Entfaltung verspricht. Die Steigerungslogik lebt in der Zukunft, denn selbst der aktuelle Hype, so viel wissen wir, wird bald durch einen noch besseren Hype abgelöst, und der ist selbstverständlich besser als alles, was je dagewesen war.
    Das Normale, die Gegenwart, der Durchschnittsbürger sind schon deshalb nichts wert, weil es sie bald nicht mehr gibt, sie sind jetzt schon von gestern. Die Überbietungsgesellschaft lebt von der Abwertung der Normalität. Das überträgt sich auf die Menschen selbst. Welche Würdigung kann das Normale erwarten, wenn ihm die Leitkultur erklärt, dass nur das Außergewöhnliche und Einzigartige wertvoll ist? Wir alle bluffen, um wenigstens ein bisschen mithalten zu können, aber das strengt im Grunde noch mehr an. Die große Masse der Menschen ist nicht einzigartig, sie hat keine Chance auf Ruhm, sie wird im Winner-takes-all-Kapitalismus verlieren. Der Arbeiter, der vierzig Jahre fast ohne Krankheitstage an der Werkbank stand, die Hausfrau, die tagein, tagaus die Familie zusammenhält, der Vater, der seine drei Kinder ernährt und brav seine Steuern zahlt, der Polizist, der sich mit Kriminellen und Besoffenen herumschlägt, die Altenpflegerin, die zuverlässig die ihr Anvertrauten pflegt – das zählt kaum noch, das ist langweilig, da maximiert sich kein Nutzen, da gibt es keinen Zuwachs. Die Überbietungsgesellschaft würdigt sie nicht mehr.
    Wir müssen uns die Wertschätzung der Normalität zurückerobern. Denn der Wettlauf in der Außergewöhnlichkeit ist nur etwas für die Wenigen, den Winner-takes-all-Kapitalismus. Schon rein mathematisch kann es nur wenige Stars geben, nur wenige Starreporter, Staranwälte, Modeärzte, Superstars, Fernsehstars, Fußballstars, Filmgenies und so weiter. Nur wenige sind auserwählt – das ist ein leitkulturelles Credo, das wir zurückweisen sollten. Der Puritanismus hat die Idee des guten Lebens von Anfang an bekämpft. Inmitten eines historisch unvergleichlichen Wohlstands haben wir ein ganzes System von Tretmühlen errichtet, die uns unzufrieden machen und vom guten Leben in einer Balance fernhalten. Der erste Schritt, das zu ändern, ist die Einsicht, dass die puritanischen Wurzeln dieser Überbietungsgesellschaft lebendiger sind denn je, und dass wir sie abschneiden müssen, wenn wir ein zufriedenes Leben finden wollen.
    1 Hermanns 2013.
    2 Wais 2013.
    3 Wampole 2012.
    4 Prisching 2009a, S. 8
    5 Berg 2013.
    6 Stressreport 2012, hrsg. von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.
    7 Die historische Genese von der puritanischen Angstrepression über die Neurasthenie im Industriekapitalismus bis zur heutigen narzisstischen Depression schildert Ehrenberg in Das Unbehagen in der Gesellschaft (Ehrenberg 2011).
    8 Ehrenberg 2008, S. 23.
    9 Ehrenberg 2008.
    10 Ehrenberg 2008, S. 16.
    11 Ehrenreich 2010.
    12 Calvin 1955, III 21, 5.
    13 Calvin 1955, III 23,12.
    14 Ehrenreich schildert die
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