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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
Autoren: Max. A Hoefer
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gewöhnlich die für sie angenehmere ergreifen. Folglich müsste bei steigendem Wohlstand auch die allgemeine Zufriedenheit steigen. Das war aber offenbar nicht der Fall, wie zahllose Umfragen in der westlichen Welt seit Easterlin 1 feststellten. Und meine Diskussion mit den Studenten legte auch nahe, dass die heutige jüngere Generation kaum glücklicher ist als die ihrer Eltern.
    Das Easterlin-Paradoxon stellte mich und meinen Job vor eine grundsätzliche Frage: Wenn das Lebensglück der Menschen nicht zunimmt, warum sollten sich die Menschen dann den ganzen Stress antun und nach immer mehr Einkommen, Wachstum und Produktivität streben? Sollte ich mich bei der nächsten Diskussion vielleicht einfach hinstellen und sagen: »Leute, es geht uns verdammt gut, besonders, wenn wir uns mit den Zuständen vor 50 oder gar 100 Jahren vergleichen. Lasst uns schlicht einen Gang runterschalten. Wir machen die Tretmühle bei Arbeit, Status und Konsum einfach nicht mehr mit.«
    Was mich daran hinderte, war, dass es solche Langsamkeitsapostel längst gibt und es sich dabei zumeist um ältere Herren handelt, Professoren oder frühere Topmanager, die am Ende ihres Lebens die Erbaulichkeiten des Bildungsbürgertums und das sanfte Leben entdecken, aus der ersten Reihe gewissermaßen, im Zimmer mit Aussicht. Sie haben die Kämpfe um den nächsten Karrieresprung, den Bau des Eigenheims und die Traumreise an die Copacabana lange hinter sich. Sie treten schon aus biologischen Gründen gern ein bisschen kürzer. Sie haben gut reden.
    Aber was soll ein normaler Arbeitnehmer von der Absage an Wachstum und Einkommenserhöhung halten? Was von Sprüchen, dass das Lebensglück sich in Familie und gelungenen Freundschaften mehr erfülle als in einem neuen Auto oder einer Gehaltserhöhung? Er würde sich auf den Arm genommen fühlen, vor allem, wenn ihm das wie ich ein Vertreter der Wirtschaft vorbetet. Für Gewerkschaften und Linke wäre die Sache schnell klar: Ein zynischer Trick der Unternehmer, um Lohnerhöhungen und Mehrzahlungen in die Sozialkassen zu verweigern.
    Ich stellte mir meinen damaligen Boss, Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser, vor, wie er Tarifvertragsverhandlungen mit der IG Metall mit den feierlichen Worten eröffnet hätte: »Die Glücksforschung hat ergeben, dass Lohnerhöhungen die Menschen nicht wirklich glücklicher machen, sie sollten mehr Zeit für Freundschaften verwenden. Deshalb schlagen wir vor, statt der geforderten 8 Prozent Lohnerhöhung, jeden Arbeitnehmer bei der Pflege glücksfördernder Freundschaften zu unterstützen.« Die IG Metall würde ihn für verrückt erklären. Und das politische Establishment ebenfalls.
    Aber ist das alles wirklich so absurd? Muss es nicht einfach mal einer ausprobieren? Vielleicht nicht das Angebot glücksfördernder Freundschaften, da gibt es sicherlich bessere, seriöse und fortschrittliche Möglichkeiten. Nur welche? Wie soll diese andere Vorstellung von Wohlstand aussehen, die die Gesellschaft insgesamt zufriedener macht, aber ihr Heil nicht in einer sozialromantischen Steinzeitökonomie sucht mit Kräuteranbau und Fahrradwerkstätten? Mir war klar, dass gegen die diffuse Unzufriedenheit mit unserer Wirtschaftsordnung weder Hinweise auf ihre beispiellose Erfolgsgeschichte halfen noch Appelle an die segensreiche Wirkung von Markt und Wettbewerb. Die Soziale Marktwirtschaft steckt in einer Akzeptanzkrise, sie braucht ein neues Fundament, sie muss ihre Prioritäten neu setzen.
    Das ist besonders für die Unternehmen eine echte Herausforderung. Es reicht nicht, wenn ein Topmanager mit betroffener Miene ein paar wachstumskritische Anmerkungen macht und die Worte »Nachhaltigkeit« und »Klimawandel« in den Mund nimmt. Die Entscheider-Elite heißt nämlich so, weil sie Entscheidungen von großer Tragweite trifft – und da wird ein Unternehmensboss schnell unglaubwürdig: Er kann nicht im Geschäftsbericht von steigenden Umsätzen und Renditen schwärmen und gleichzeitig dem Rest der Gesellschaft Glück und Bescheidenheit predigen. Die Gewerkschaften haben im Grunde dasselbe Dilemma, denn sie scharen ihre Mitglieder hinter sich, weil sie für gut bezahlte Vollzeitjobs und wachsende Sozialleistungen kämpfen, nicht weil sie ihnen etwas über Entschleunigung oder andere Formen des Glücks erzählen.
    Und die Parteien? Die haben, allen voran die Grünen, in ihren Programmen hübsche wachstumskritische Passagen. Die fliegen aber im Allgemeinen sofort über Bord, wenn sich auch
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