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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
Autoren: Max. A Hoefer
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nur der Hauch einer Rezession ankündigt. Dann müssen Wachstumskräfte entfacht werden, sonst kann man den Wählern keine rosige Zukunft versprechen. Die Ergebnisse der Enquete-Kommission des Bundestags 2 für eine nicht nur in Geld gemessene Bewertung von Lebensqualität fallen deshalb so bescheiden aus, weil alle Parteien angesichts der Euro-Krise auf mehr Wirtschaftswachstum setzen, egal, welche Folgen das für Natur und Lebensqualität hat. In der Praxis sind alle Parteien konsequente Exekutoren der Immer-mehr-Ideologie, besonders, wenn sie in der Opposition sind: Die Immer-mehr-Ideologie schiebt alle Schwierigkeiten in Wirtschaft und Gesellschaft auf einen Mangel an Mitteln und sieht die Lösung aller Probleme in mehr Geld. Gäbe es mehr Geld für Hartz- IV -Empfänger, Lehrer und das Gesundheitssystem, wären die Verhältnisse gerechter, die Schüler schlauer und die Menschen gesünder.
    Wir wissen längst, dass das nicht stimmt. Oftmals bewirkt mehr Geld das Gegenteil: In der Sozialhilfe schafft es tief frustrierte passive Transferempfänger. In der Schule hat Deutschland die bestbezahlten Lehrer Europas, aber längst nicht die besten Schüler. Und im Gesundheitssystem versickern Milliarden in Mehrfachuntersuchungen und Überversorgung.
    In den meisten Lebensbereichen kommt es eher auf das »Wie« an als auf das »Wie viel«. Wir wissen das, aber wir handeln viel zu selten danach und kommen von der alten Immer-mehr-Ideologie nicht los. Wir leben offenbar geistig noch immer in der Vor-Easterlin-Epoche und meinen, dass steigender Lebensstandard auch die Zufriedenheit erhöht. Im Grunde sind sich gerade in Wirtschaft und Politik alle einig, dass am Ende doch alles auf mehr Geld hinausläuft: mehr Geld für Sozialhilfe, für Bildung, für Kultur, für erneuerbare Energien etc.
    Würde ich mich also auf einer Veranstaltung vor die Leute stellen und ihnen zurufen: »Lasst uns einfach aus der Tretmühle von mehr Einkommen, mehr Status und mehr Konsum aussteigen«, erhielte ich anfangs sicherlich freundlichen Zwischenapplaus. Aber dann müsste ich schon verdammt konkret werden und die Alternativen benennen, wenn ich nicht ausgebuht werden möchte. Und das war es, was mir diese anhaltende Sinnkrise bescherte: Ich kannte die Alternativen auch nicht. Natürlich hatte ich einige Vorstellungen. Sozialhilfeempfänger brauchen nicht mehr Stütze für den neuen Flachbildfernseher, sondern eine Perspektive. Arbeitnehmer brauchen keinen Bonus, sondern mehr Verantwortung und Wertschätzung. Kommunen brauchen keine höheren Gewerbesteuereinnahmen, sondern engagiertere Bürger.
    Aber das waren alles nur vage Gedanken. An vielen Stellen steht unsere Soziale Marktwirtschaft recht ratlos da: Die Arbeitsbelastung wird größer, weil die industrielle Effizienzlogik das Tempo stetig erhöht. Doch stehen dem Steigerungsstress nur geringfügige Konsumgewinne gegenüber: Ob es jetzt 300 oder 330 verschiedene Joghurtsorten, TV -Programme oder Nagellacke gibt, erhöht die Zufriedenheit nicht. Unserem Wirtschaftssystem gelingt es immer weniger, die Vorteile von technischem Fortschritt und Arbeitsproduktivität in glückbringenden Wohlstand umzusetzen. Wir sind übersättigt und überarbeitet und schaffen es nicht, Arbeit und Konsum zu entschleunigen, um dadurch echte Lebensqualität zu gewinnen. Früher hatte wenigstens eines gestimmt: Die industrielle Standardisierung schuf Wohlstand für die breite Masse: Für ein paar Schuhe musste der Durchschnittsverdiener 1950 sieben Mal so lange arbeiten wie heute, für ein Pfund Bohnenkaffee schuftete er damals unglaubliche 26 Stunden, heute reichen 19 Minuten, und eine Woche Urlaub in Italien ist heute um das Sechsfache erschwinglicher.
    Aber diese Produktivitätssprünge sind längst vorbei. Wo es welche gibt, schlagen sie sich kaum in Lohn- oder Konsumvorteilen nieder. Die Reichen sind die Hauptnutznießer, wie die Einkommensstatistiken seit Anfang der 1990er Jahre belegen, was die Unzufriedenheit in der Bevölkerung zusätzlich erhöht. Die Aldi-Erben können aus wenigen Cent, die sie durch Skalenerträge aus einem Eigenprodukt herausquetschen, Millionen verdienen. Der Konsument hat mit den Nachteilen zu kämpfen, denn die Qualität der Produkte wird durch die Effizienzmaschinerie eher schlechter, an allem wird gespart. So haben die Menschen mittlerweile das Vertrauen in die Lebensmittelindustrie weitgehend verloren. Was haben wir davon, wenn ein Masthähnchen, das einmal 70 Tage leben durfte,
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