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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
Autoren: Max. A Hoefer
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Sexyness, alles muss stimmen, muss perfekt sein. 4
    Max Weber hat diesen Prozess der Anpassung, dass man so perfekt funktioniert wie Marissa Mayer oder ein beliebiger Manager, schon vor hundert Jahren ebenso bissig wie treffend als »herrenlose Sklaverei« 5 charakterisiert: Was im Feudalismus der »Herr« war, dem der Einzelne gehorchen musste, ist in der Marktgesellschaft der Wettbewerb. Unpersönlich zwingt er zur Anpassung. Wer im Lebenslauf nicht mit Praktika, außeruniversitären Kursen, Auslandsaufenthalten, Fremdsprachenkenntnissen und sozialen (Pseudo-)Engagements glänzt, wird den Job nicht bekommen. Wer sich Facebook verweigert und damit der Überprüfbarkeit durch Personalchefs, scheidet im Rennen um den Job aus. Wer als Unternehmer nicht billig in Asien produzieren will, den frisst die Konkurrenz.
    Weber beschreibt eindringlich, dass sowohl Fabrikant als auch Arbeiter »ökonomisch ebenso unfehlbar eliminiert werden« 6 , wenn sie sich der Effizienzlogik dauerhaft entgegenstellen: »Der zur Herrschaft gelangte Kapitalismus erzieht und schafft sich im Wege der ›ökonomischen Auslese‹ die Wirtschaftssubjekte, deren er bedarf.« 7
    Dieser Formungsprozess hält an und hat sich radikalisiert. Dass er heute so sonnig kalifornisch daherkommt, hat Max Weber nicht erwarten können. Wie auch Norbert Elias oder Joseph Schumpeter hatte Weber befürchtet, dass sich die Arbeitsproduktivität lähmend um die Kreativität und Emotionalität der Menschen legen und eine umfassende bürokratische Rationalität hervorbringen würde: »Fachmenschen ohne Geist, Genussmenschen ohne Herz.« 8
    Bei Google und Yahoo kommt aber der Masseur vorbei, und im firmeneigenen Fitnessstudio darf man Yoga zur Entspannung üben, wenn bloß die Zeit dazu bliebe. Marissa Mayer wird man nie klagen hören, auch Mark Zuckerberg tritt relaxt wie ein Teenager im Kapuzenshirt auf, und alle sind immer unheimlich gut drauf. Im kalifornischen Kapitalismus 9 denkt man positiv, und das lernt man auch schon bei uns: Lächeln, auch wenn der Arbeitsstress hoch ist.
    Massage und Yoga sind in der Analystenkonferenz wenig hilfreich, wenn die Shareholder Umsatz- und Gewinnsteigerungen sehen wollen. Die Radikalisierung der Selbstoptimierung und der effizienten Berufsarbeit geht von den Top-bossen aus, von ganz oben. Sie haben sich selbst unter einen irren Performancedruck gesetzt. Das ist schon körperlich zu spüren: Gern imponieren sie neuerdings sogar mit einem beachtlichen Sportpensum, sodass der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 10 auffiel, wie seltsam schlank die Dax-Vorstände sind. Die Peitsche der Optimierung und Disziplinierung trifft das mittlere und obere Management weit mehr als die Normalbelegschaft. Je schneller einer im Hamsterrad läuft, desto größer die Bewunderung durch seinesgleichen.
    Sind die Sieger eigentlich noch die Sieger?
    Es war eine Diskussion zwischen dem Soziologen und Beschleunigungskritiker Hartmut Rosa und der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht auf einem Berliner Kongress der Zeitung taz , die mir klarmachte, dass die deutsche Manager-Elite eine ganz falsche Vorstellung davon hat, wie man ihre Performance einschätzt. Gern klagt sie über die deutsche Neid-Gesellschaft, und dafür gibt es auch gute Gründe. Aber vielleicht muss sie den Neid gar nicht mehr fürchten. Denn statt Neid erntet sie inzwischen Mitleid. Workaholics beneidet man nicht, man bedauert sie. Das taz -Forum war derart überfüllt, dass es in einen zweiten Raum und ins Freie übertragen werden musste. Wagenknecht legte sofort los und schimpfte auf Pleite- und Bonibanker, geißelte die immer größere Kluft zwischen Arm und Reich und empfahl kämpferisch eine Verstaatlichung der Kreditinstitute. Das hatten alle schon mal gehört.
    Dann kam Rosa. Ganz unaufgeregt und in einem bedächtigen Tonfall nahm er Wagenknecht auseinander. Zunächst gab er ihr recht: Ja, die Verhältnisse seien ungerecht. Dann aber stellte er den Sinn der Umverteilungsideologie fundamental infrage: »Indem sich die Linke allein auf die Verteilungsgerechtigkeit konzentriert, spielt sie ihrem neoliberalen Gegner in die Hände und hilft ihm, das unheilvolle Steigerungsspiel weiter zu betreiben.« Rosa bereitete keine Vermögensstatistiken aus und keine Gini-Koeffizienten zur Messung der Ungleichheit. Er öffnete Krankenakten, um das Steigerungsspiel zu illustrieren: In Japan sei die durchschnittliche Lebenserwartung seit 1945 deutlich angestiegen, bei den ökonomischen Eliten aber sei
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