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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
Autoren: Max. A Hoefer
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weiterhin leben, um zu arbeiten. Darum geht es: Jeder soll seine Performance in der Karriere, in der Lebensführung, im Sport oder auch als Eltern perfektionieren.
    Erst Arbeit macht dich wertvoll.
    Das ist alles richtig, höre ich die Kritiker sagen, aber es gibt doch auch die positive Seite, den Spaß bei der Arbeit, den gerade die jüngeren Arbeitnehmer einfordern. Und hat nicht auch die Bedeutung der Arbeit zugenommen? Für 68 Prozent der Männer und für 50 Prozent der Frauen ist ein Beruf eine Voraussetzung, um ein erfülltes Leben zu haben, hat eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach ergeben. 90 Prozent der Berufstätigen ist ihr Beruf sehr bzw. ziemlich wichtig. 57 Prozent der berufstätigen Männer wie Frauen bemühen sich bei ihrer Arbeit, immer ihr Bestes zu geben, lediglich zwölf Prozent arbeiten nur, um Geld zu verdienen. Diese Zahlen sprechen doch dafür, dass Arbeit einen bedeutenden Platz in unserem Leben einnimmt.
    Stimmt. Und das ist genau ein Teil des Problems. Denn der Siegeszug der intrinsischen Motivation, der aus dieser Meinungsumfrage spricht, hat uns noch mehr an die Arbeit gefesselt. Zwei Einstellungen illustrieren das. In den vergangenen 40 Jahren haben zwei Anforderungen an den Arbeitsplatz zugenommen: Der Wunsch nach einem sicheren Arbeitsplatz stieg von 76 Prozent (1973) auf 90 Prozent (2011). Für einen sicheren Job opfern die Menschen heute viel: Sie pendeln längere Strecken, die Hälfte der Erwerbsfähigen würde den Wohnort wechseln, ein Fünftel würde Freundschaften vernachlässigen und jeder Zehnte sogar auf Kinder verzichten. Ein Teil des hohen Stellenwerts der Arbeit ist also der Angst geschuldet, keine Arbeit zu haben. Denn besonders schwer wiegt für Arbeitslose die Unsicherheit über die eigene Zukunft und die Verschlechterung ihrer materiellen Situation. 42 Prozent der Arbeitslosen haben das Gefühl, nicht mehr viel wert zu sein. Die Bereitschaft, eine Tätigkeit unterhalb des eigenen Qualifikationsniveaus anzunehmen, hat sich seit Mitte der 1990er Jahre von 49 auf 67 Prozent erhöht. Nichts wert zu sein ohne Arbeit, damit sind wir beim Kern der protestantischen Arbeitsethik. Dazu gleich mehr.
    Noch klarer wird die Bedeutungszunahme der intrinsischen Motivation durch den Wunsch nach Anerkennung im Beruf. Auf die »Anerkennung der eigenen Leistung« legten 1973 nur 69 Prozent wert, 2011 waren es 83 Prozent. Man kann sich das aus heutiger Sicht kaum vorstellen, dass es Anfang der 1970er Jahre immerhin einem Drittel der Beschäftigten egal war, ob der Chef etwas von der Arbeit hielt, die sie ablieferten. Allerdings ist unsere heutige Arbeitsbereitschaft nicht der Normalzustand in der Geschichte, sondern die absolute Ausnahme. Über die berufliche Knochenmühle unserer Topmanager hätten frühere Eliten nur verwundert den Kopf geschüttelt. Nichtstun, das antike »otium«, genoss bis zur Reformation eine hohe Wertschätzung, denn man war frei für die musischen Dinge der Welt. 12 Beliebt war die Arbeit nie: lateinisch »labor« bedeutet ebenso Mühe und Plage wie das griechische »ponos«. Das französische »travail« kommt aus dem vulgärlateinischen »tripalium« und bezeichnet ein Folterinstrument. Die Menschen hatten anderes zu tun, als sich mit den Befehlen ihrer Dienstherren innerlich anzufreunden. Die Arbeit war meist hart und der Lohn gering. Das Leben im Mittelalter war arm, aber es war auch gemächlich. Unzählige Feiertage bestimmten den Kreislauf des Lebens, die bis ins 19. Jahrhundert fast gänzlich abgeschafft wurden. Waren die Bettler gemäß »Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes« (Lk 6, 20) besonders geachtet (»Bettelmönche«), sollten sie nach Luther »arbeiten oder aus unserm Kirchspiel hinweggetrieben werden« 13 . Ausgehend von den calvinistischen Ländern wurden Arbeits- und Zuchthäuser errichtet, in denen Bettler und Arme zur Arbeit gezwungen wurden. Während der industriellen Revolution war die Schinderei noch härter. Es war die große Zeit des Manchester-Kapitalismus, als die puritanische Arbeitszucht sich voll austoben konnte. 14
    Vormoderne Kulturen kannten die Idee des »Wirtschaftswachstums« oder der Nutzenmaximierung nicht. Dass Arbeit zu einem Bedürfnis wird, ist somit ein einzigartiger historischer Vorgang. Wer riss sich je in der Geschichte schon darum, die Felder zu pflügen oder eine Straße zu pflastern? Es ist auch zweifelhaft, ob die Ägypter beim Pyramidenbau vor Zufriedenheit jauchzten oder sich
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