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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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ihn im Radio gehört haben. Dort ist es sehr, sehr laut, will ich sie warnen, und in der Wiener Stadthalle sind sehr, sehr viele Menschen. Ich sage nichts dergleichen. Sie will ihn gern hören, sie will ihn gern kennenlernen. Nach den Zugaben trifft sie ihn im VIP-Raum. Sie verstehen sich. Die anderen beobachten die beiden, aber sie lassen sie in Ruhe. Sie tritt bei einer Fernsehgala auf. Licht ins Dunkel, die Benefizshow zu Weihnachten, bei der einen ganzen Tag lang Geld für Bedürftige gesammelt wird. Sie spielt vor der Kamera mit Kindern, sie ruft zu Spenden auf. Sie wirkt souverän. Es strengt sie an, aber sie glaubt an die Sache, sie will selber eine Stiftung gründen, um Hungernden zu helfen und missbrauchten, gefolterten, verschleppten, jungen Frauen in Mexiko. Wir gehen ins Moulin Rouge. Starmania, die Party nach dem Finale des großen TV-Gesangswettbewerbs. Das ganz in rotem Plüsch gehaltene Nachtlokal ist zur Disko umfunktioniert und gesteckt voll. Natascha mitten im Gewühl. Es scheint ihr nichts auszumachen. Sie überrascht mich immer aufs Neue. Gegen fünf Uhr früh haben Sabina und ich genug. Natascha will noch bleiben. Sabina und ich bahnen uns den Weg zur Garderobe. Ich hole die Mäntel. Es dauert seine Zeit. Ich bekomme die Sachen. Ich drehe mich um. Sabina ist weg. Ich dränge mich durch die Menge. Keine Spur von ihr. Ich frage ein paar Leute. Niemand hat sie gesehen. Ich quetsche mich zurück zur Bar. Sie ist nicht da. Ich zwänge mich noch einmal Richtung Ausgang. Keine Sabina. Auf einmal ist alles wieder da. Meine Tochter ist verschwunden. Direkt vor meinen Augen. Wie damals, bei Natascha. Die Angst kapselt mich ein. Ich kann nicht atmen. Mir wird schwindlig. Alles dreht sich. »Gehen wir, Mama ?« Sabina nimmt ihren Mantel und zieht ihn an. Das Tagebuch aus der Hölle hat sich kurz aufgeschlagen. Nur weil Sabina einmal kurz auf der Toilette war. Es wird noch lange dauern. Aber es wird besser werden. »Ja«, sage ich. »Lass uns gehen .«

17

    Der Koch hat die Schildkröte vergessen. Ich glaub’s nicht. »Du hast sie gar nicht gemacht«, sage ich. Natascha hat sich von ihm eine Torte in Form dieses Tieres gewünscht. Er ist nicht begeistert gewesen. Wird doch nicht so schwer sein, so eine Schildkröte, für einen Bäcker, hab ich gesagt. Er schaut mich beleidigt an. »Natürlich hab ich sie gemacht. Aber jetzt steht sie daheim. Kriegt sie das Vieh halt später .«
    Na, super, denke ich. Alles vorbereitet, alles bei der Hand und das Geburtstagskind bekommt keine Torte. Typisch Koch. Ich verstreue die letzten paar Glitzersteine auf der Tafel. Violett und rosa. Sieht hübsch aus auf dem weißen Tischtuch. Dazwischen Kerzen. Nur Blumen habe ich keine genommen, hätten nicht zu den Girlanden und Papierschlangen gepasst. Nataschas Geburtstag fällt in die Faschingszeit, da haben Blumen nichts zu suchen. Sie wird ohnehin genug geschenkt bekommen.
    Ich lasse den Koch stehen und mache eine letzte Kontrollrunde. Die Luftballons vor dem Eingang und hier drinnen sind alle noch heil. Die CDs für die Musik liegen auf einem Stapel, das Buffet ist aufgebaut. Ich habe mir eine Pause verdient. Und eine Zigarette.
    Der Koch hat die Torte vergessen, denke ich, aber das Lokal war seine Idee. Bei diesem Heurigen waren wir schon, wie ich mit Natascha schwanger war, und etliche Male mit ihr, wie sie noch klein war. Eine gute Wahl. Und ich will auch keinen Unmut aufkommen lassen, so kurz vor dem großen Fest, wegen einer Schildkröte aus Teig. Es ist Nataschas erster Geburtstag in Freiheit. Es wird ein tolles Fest werden. »Na? Erledigt ?« Eine Freundin, die mir beim Dekorieren geholfen hat, setzt sich zu mir an den Tisch. Sie hat schon den ersten G’spritzten in der Hand.
    Soll sein, denke ich, nur weil ich nichts trinke, dürfen es doch die anderen lustig haben. »Ja, erledigt«, sage ich. »In jeder Beziehung.« »Wieso ?« , fragt sie, »ist doch alles wunderbar.« Sie deutet mit einer großzügigen Geste in den Raum. »Wer kommt denn aller ?« »Das werden wir sehen«, sage ich, »deshalb bin ich ja so fertig .« Die vergangenen Wochen waren anstrengend. Lange habe ich überlegt, womit ich Natascha die größte Freude machen kann. Ich lade alle ein, die sie kennt, habe ich mir gedacht. Und dann hat die Arbeit begonnen. Weil, die meisten, die sie kennt, kennt sie von früher. Vom Kindergarten, der Volksschule. Wo, um Gottes willen, krieg ich die jetzt her ?, hab ich gedacht und zu suchen angefangen. »Fertig?
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