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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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setzte mich an den Tisch und rauchte meine erste Zigarette. »Natascha! Guten Morgen, halb sieben!« Ich klopfte an die Tür und ging noch einmal ins Bad. Nichts rührte sich im Kinderzimmer. »Aufstehen, komm schon! Heute früher, du weißt doch .« Sie hatte sich noch nicht gewöhnt an die Förderstunden in Deutsch. Sie begannen früher als die Schule, um zehn vor halb acht. Und heute war erst die dritte. Ich setzte mich auf den Bettrand und rüttelte sie sanft. »Du bist schuld«, murmelte sie im Halbschlaf. „Du hast mich zu spät aufgeweckt, wegen dir komm ich jetzt nicht zurecht .« »Es geht sich schon noch aus. Beeil dich halt ein bisschen. Ich hab dir deine Sachen hingelegt .« Ich deutete auf das karierte Jeanskleid, das auf dem Sessel lag. »Das zieh ich sicher nicht an«, sagte Natascha, aber zumindest war sie jetzt wach. »Ich will eine Hose. Und andere Unterwäsche.« »Du ziehst an, was ich dir sage. Wozu such ich’s dir denn raus ?« Sie stand auf, ging zum Kasten und kramte darin herum. Wenn sie gut drauf war, nannte sie mich manchmal Mausi. Heute war ich nicht einmal Mama. Ich ließ sie allein mit ihrer Laune. Meine war jetzt auch nicht mehr die beste. »Wo ist denn deine Brille ?« , fragte ich, als sie endlich fertig angezogen in die Küche kam. Sie gab keine Antwort. »Die Brille, du brauchst sie in der Schule .« Nichts kam zurück. »Soll ich dich in die Schule führen ?« »Ich geh allein .« »Na, hallo!« Im Vorbeigehen gab ich ihr einen Klaps auf den Mund. Ohne ein Wort nahm Natascha den roten Anorak vom Haken, hängte sich die Schultasche um und ging zur Eingangstür. »Tschüss«, rief ich ihr nach. »Krieg ich kein Bussi ?« »Tschü-hüs«, gab sie zurück. Es klang stinksauer. Ich stand schon auf dem Balkon, als Natascha unten aus dem Haus kam. Sie ging nicht schneller als sonst, aber ich sah ihr den Trotz bei jedem Schritt an. Sie war allein im Hof. Es war ein trüber Tag, man roch noch den Winter. Ich wartete, dass sie einmal zu mir raufschaute. Sie wusste, dass ich da oben stand. Die paar Tage, an denen sie ohne mich in die Schule ging, habe ich ihr immer nachgewinkt. Aber sie drehte sich nicht um. Sie sah sehr klein aus. Vielleicht lag das auch nur am siebten Stock. Dann bog sie um die Ecke und verschwand. Ich dachte mir nichts dabei.

*

    Irgendwas war nicht in Ordnung mit dem Auto. Die Räder pickten am Asphalt, ich hatte das Gefühl, einen Lastwagen auszuparken. Da stimmte was nicht, vielleicht mit den Reifen. Wenn ich Glück hatte. Wenn nicht, war’s die Lenkung. Käme ungelegen bei meinem Job. Essen auf Rädern, da braucht man ein Auto. Und heute hatte ich nicht nur meine übliche Auslieferungstour, sondern auch noch den Steuerberater. Ich bog auf die Wagramer Straße ein, aber es wurde nicht besser. Ich hielt bei der OMV-Tankstelle und hatte mehr als Glück. »Sie haben keine Luft im Reifen«, sagte der Tankwart und
    füllte nach.
    Es war wenig Verkehr für einen Montag. Anfang der Woche spinnen alle in Wien, zumindest alle, die in einem Auto sitzen. Aber vielleicht war ich auch nur die paar Minuten später dran als sonst. Auch in der Böcklinstraße war das Gröbste schon vorbei. Es war sogar ein Parkplatz frei, direkt vor der Ausgabestelle von Essen auf Rädern. Ich lud meine Essensrationen ein und drehte meine Runden durch die Stadt.
    Gürtel. Heiligenstädter Lände. Taborstraße. Marxergasse. Ring. Gürtel. Ich kannte den Weg. Der Steuerberater lag abseits der Route. Richtung Döbling, beim Türkenschanzpark. Ich gab meine Aktenordner ab und hielt mich nicht lang auf, man redet nicht gern über ein Konkursverfahren. Er hatte, was er brauchte. Jetzt wollte ich nach Hause.
    Der Konkurs kreiste in meinem Kopf. Hätte nicht sein müssen, das Ganze. Ich habe wirklich alles dazu getan, den Imbissladen am Laufen zu halten. Wäre gegangen. Wenn der Koch ein bisschen mehr mitgeholfen hätte. Und ein bisschen weniger gesoffen. Heißt Koch und stand nur in der Küche, wenn eine Flasche leer war. Ex-Männer!
    »Hallo, Brigitta!«
    Im ersten Moment wusste ich nicht, wo die Stimme herkam. Die Stimme vom Koch. Unwillkürlich drehte ich den Kopf nach links. Da war er. Im Auto neben mir. Auf der Nussdorfer Straße. Mitten im Stau. Ich kurbelte das Fenster herunter.
    »Hallo.« »Was machst denn du da ?« Ich hatte keine Lust, es ihm zu erklären. Ich hatte seinen Konkurs, mehr brauchte ich nicht von ihm. »Wo ist der Pass von der Natascha ?« »Danke. Mir geht’s auch gut. Der Pass?
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