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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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Knien, und ich bring ihm die Getränke nach Hause. Und meine Mutter, mit dem Alzheimer. Sie macht’s eh gut, aber so ganz allein? Bitte, meine Kinder, die sind eh schon erwachsen, stehen mit beiden Beinen im Leben. Gut, haben sie halt keine Mutter mehr. Aber die Enkerln. Das kann ich nicht machen. In dem Augenblick wusste ich, ich muss da wieder hineingehen. Ich war nicht mehr aus Stein. Eine Sekunde länger vor der Balkonbrüstung, ein Schritt weiter nach vorn, und ich lieg da unten. Ich fürchtete mich vor mir selbst, ich drehte mich um, ich knallte die Balkontür zu und machte sie monatelang nicht mehr auf.

5

    Der Teufel steht für Illusionen.
    Der Satz lenkte mich erstmals von den Essensresten ab, die keine zwei Meter von mir entfernt neben der Abwasch standen. Es musste Tage her sein, dass jemand von den Tellern gegessen hatte, die dort übereinander standen und altes Gemüse und ein paar Stücke Fleisch zwischen sich einklemmten. Der Stapel drohte jeden Moment zu kippen, vermutlich hielt ihn nur die eingetrocknete Sauce zusammen. Ich wunderte mich, dass man nicht roch, wie es in der Wohnung aussah.
    Ich betrachtete die Frau, die da mit mir redete. Wer isst mit so einer Person, dachte ich, aber vielleicht waren das alles ja auch nur ihre Teller. Hin und wieder nickte ich. Sie merkte nicht, dass ich ihr nicht folgen konnte. Nur der Satz mit dem Teufel hatte mich erreicht. Welche Illusionen machte ich mir hier?
    »... Abhängigkeit, feste Grenzen, das Negative überwiegt. Verstehen Sie ?« Ihre dünnen, langen Finger strichen über die Teufelskarte. Es hatte etwas Zärtliches. Ich antwortete nicht, ich wollte nicht stören.
    Ich sah sie mir an, während sie mit dem Teufel spielte. Ihre Haare waren lang und rot. Ein Rot, das ich noch nie irgendwo gesehen hatte. Sie fielen ihr offen über den Rücken, bis runter auf die Sitzfläche eines seltsamen Throns. In dicken Strähnen wuchsen sie aus ihrer Schädeldecke heraus und hingen kopfüber an ihr herunter. Bei jeder ihrer Bewegungen kam Leben in sie, sie schlängelten sich, als wären sie auf der Suche. Ich rückte ein Stück zurück mit meinem Sessel, damit sie mich nicht berühren konnten.
    Das unerwartete Geräusch riss sie aus ihrem Geplänkel mit dem Teufel. »Verstehen Sie ?« , fragte sie noch einmal. Das Gesicht der Frau passte nicht zu dem Schlangennest, aus dem es hervorsah. Es musste einmal sehr schön gewesen sein, schmal und fein geschnitten, der Mund saß etwas schief, aber die Augen dürften so einiges angerichtet haben bei den Männern. Die Jahre hatten die filigranen Züge überzeichnet. Die Backenknochen waren wie von dünnem, brüchigem Pergament überzogen, das jeden Moment an den Falten reißen konnte. »Es ist der Narr, der die Reise antritt«, sagte sie. Auch das leuchtete mir ein. Diese Art Tarot stellte die Reise des Helden dar, hatte sie mir erklärt. Mit dem Helden hatte ich nichts anfangen können, der Narr lag mir näher. Irgendwas in mir erkannte da eine Ähnlichkeit. Verrenn dich nicht, sagte es. Ich kann nicht mehr einfach nur herumsitzen, erwiderte ich mir. »Die Hohepriesterin stellt das Kontemplative, das ins Innere Gehende dar«, sagte die Rothaarige und schob mir eine andere Karte über den Tisch. »Und das«, eine weitere Karte wanderte zu mir, »ist der Magier, er verkörpert das Handelnde, das nach außen Gerichtete .« Siehst du, sagte ich. »Sehen Sie«, sagte die Schlangenfrau und Ihre langen, knochigen Finger deuteten auf den Stoß Karten. »Hier liegen die Antworten auf Ihre Fragen. Ihre Frage liegt auf der Hand. Konzentrieren Sie sich auf sie. Ich mische .« »Muss das nicht ich machen ?« , fragte ich. Sie schüttelte den Kopf: »Manche arbeiten so, manche so .« Man könne den Kunden mischen lassen, der dabei sein Anliegen visualisiert. Aber da wisse man nie so genau, ob er an die Frage oder schon an die erhoffte Antwort denkt. Deshalb erledige sie das lieber selber. »Ich kann meine Gedanken besser aufs Wesentliche ausrichten, dann decke ich die Karten auf... « Sie mischte. »Mit der Linken«, sagte sie, »das ist die Gefühlshand .« Sie mischte ewig. »Manche brauchen drei Durchgänge, mir reicht einer .« Endlich war sie fertig. »Wir legen das Keltische Kreuz«, ließ sie mich wissen, als ob ich etwas mitzureden hätte. Sie legte langsam, mit Bedacht. Nach und nach entstand tatsächlich ein Kreuz vor mir. Es waren schöne Karten, die Symbole hatten etwas Erhabenes. Die Prozedur war beruhigend, ich entspannte
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