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Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Titel: Verwechseljahre: Roman (German Edition)
Autoren: Hera Lind
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fast zärtlichen Lächeln. Er roch wieder so gut nach Vanille und nach Viktor, als er sich zu mir hinunterbeugte und mir einen Kuss auf die Wange gab. Ich schloss die Augen und atmete seinen Duft ein.
    »Carin. Endlich.« Er hatte einen Strauß Blumen dabei, den er Silke überreichte.
    »Für dich habe ich ein anderes Geschenk. Später.« Er sah mich so geheimnisvoll an, dass mir ganz anders wurde.
    »Roman!«
    Sehr reserviert gab er unserem Sohn die Hand, und ich drückte mich ein bisschen verlegen im Flur herum und hängte Viktors schweren braunen Mantel auf.
    »Vater, ich …«
    »Schon gut. Später.«
    Die Kinder stürzten herbei und umarmten ihren Großvater. Er küsste Benni, der strampelnd in seinem Hochstuhl saß, auf die Glatze und gab Silkes Eltern freundlich die Hand.
    Ja, und nun saßen wir eng nebeneinander am Tisch, plau derten und lachten und fielen einander ins Wort. Die Kinder konnten vor Aufregung keine Sekunde still sitzen, und aus dem CD -Player kamen leise Weihnachtslieder.
    Ich konnte es kaum fassen: Wir waren eine Familie. Eine große, bunte, problembeladene, aber zusammenhaltende Familie. Wie im Fernsehen. Nur in echt.
    Aber das Schönste daran war, dass ich das alles zum ersten Mal kennenlernen durfte. Dass ich hier nicht nur ein geduldeter Gast war: Ich gehörte dazu, lange schon.
    Wenn eine Schüssel leer war, sprang ich selbstverständlich auf und füllte sie nach. Als Ben weinte, nahm ich ihn selbstverständlich hoch und brachte ihn ins Bett. Als Laura und Max um ein Geschenk stritten, schlichtete ich und lenkte sie ab. Als Max später auf der Toilette Hilfe brauchte, ging ich zu ihm und half, seinen Schniedelwutz zu verstauen. Und als die Kinder ihr Gedicht aufsagten und dabei ins Stocken gerieten, war ich diejenige, die ihnen unauffällig weiterhalf.
    Viktors erstaunte, bewundernde Blicke spürte ich fast körperlich im Nacken. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass sich Hermann und Beate gerührt die Hände drückten. Selbst Silke hatte große, wissende Augen. Auf einmal passte alles. Es war großartig, einfach großartig. Wie Weihnachten eben. Auf einmal war das Leben schön.
    Als Silke die Kinder dann später ins Bett brachte und Beate und Hermann sich um die Küche kümmerten, zogen wir »Eltern« uns mit Roman wie selbstverständlich in eine ungestörte Wohnzimmerecke zurück.
    »Ohne Carin wärst du jetzt wohl tot.« Viktor blies seinen Pfeifenqualm durch das geöffnete Fenster in den Garten.
    »Ich weiß. Sie hat mir das Leben gerettet. Ich stehe tief in deiner Schuld, Carin …«
    »Ach, hört doch auf mit dem Gejammer!«, sprach meine Mutter aus mir. »Wichtig ist doch nur, wie es jetzt weitergeht.«
    »Ich bin mit meinem Latein am Ende.« Viktor schüttelte trau rig den Kopf. »Ich weiß, dass du nicht aus Böswilligkeit handelst, Roman, auch wenn ich Jahre gebraucht habe, um das zu verstehen. Ich habe mich ausführlich mit deiner Krankheit beschäftigt und sehe nur eine einzige Lösung: totaler Entzug. Mit anderen Worten, eine geschlossene Anstalt.«
    »So eine Einrichtung, wo die Türklinken von innen abgeschraubt sind?« In Romans Augen spiegelte sich Entsetzen.
    »Ich habe mich jahrelang klein und schäbig gefühlt, weil ich die Verantwortung für meinen Sohn in fremde Hände gegeben habe«, mischte ich mich ein. Plötzlich spürte ich, wie meine Augen brannten. »Und als ich wusste, in WESSEN Hände er gelangt ist, habe ich mich noch kleiner und erbärmlicher gefühlt.« Hastig blinzelte ich die Tränen weg. »Weil ich überzeugt davon war, dass du, Viktor, und deine Frau dem Jungen viel mehr Liebe und Geborgenheit gegeben habt, als ich das je gekonnt hätte.« Ich räusperte einen dicken Kloß weg. »Aber inzwischen weiß ich, dass ihr in eurer blinden Liebe zu Roman ganz vergessen habt, ihn zu einem verantwortungsvollen Menschen zu erziehen, ihm Grenzen zu setzen und ihm – verzeiht, wenn ich jetzt meine Mutter zitiere – auch mal ordentlich eins hinter die Löffel zu geben!«
    Roman zuckte zusammen. Verdutztes Schweigen machte sich breitet.
    »Carin, ich …«
    »Moment, Viktor, ich bin noch nicht fertig. Ich weiß, über Tote soll man nicht schlecht reden, und das habe ich auch nicht vor. Ich habe größten Respekt vor Beatrice, die alles für Roman gegeben hat. Aber sie hat einen entscheidenden Fehler gemacht. Sie hat dich verteidigt und beschützt, Roman. Sogar vor Viktor hat sie dich gedeckt. Sogar vor ihrem eigenen Mann!« Ich warf Viktor einen strengen Blick zu, und
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