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Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Titel: Verwechseljahre: Roman (German Edition)
Autoren: Hera Lind
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heimlich »Patienten«. Für mich ist es die Brigade der Durchgeknallten.
    Menschen, die zu viel Zeit und zu viel Geld haben. (So ähnlich wie Golfer. Dicht gefolgt von Bridge-Spielern.) Egal, jedem Tierchen sein Pläsierchen, hat Mutter immer gesagt.
    Seit einem Jahr zahlt Roman regelmäßig Unterhalt an beide Mütter seiner Kinder, und die sind – Überraschung! – gerade zufällig bei dieser Weihnachtsreise mit an Bord!
    Wie gesagt, Präludium und Fuge ist das größte und prachtvollste von Viktors Schiffen. Ich habe mir diesen Namen gewünscht, und ich durfte das Schiff sogar taufen. Die Bilder kursieren im Internet. Na ja, mit Marlies-Möller-Frisur werfe ich eine Flasche Champagner gegen den Schiffsbauch! Es ist mir ein bisschen peinlich, dass sie gar nicht kaputtgehen wollte, aber Viktor hat nur gelacht und gemeint, unsere späte Liebe will ja auch nicht kaputtgehen! Die Sache mit dem Hut, der aussah wie eine riesige tote Motte und mir beim ersten Windstoß vom Kopf flog, vergessen wir einfach.
    Das Schiff ist ganz neu und hat vierhundert edle Suiten. Die Owner-Suite ist nebenbei bemerkt die größte. Wesentlich größer als meine Dreizimmerwohnung in Butterblum. Gerade war ich im topmodernen Fitnesscenter und habe einen Pilates-Power-Kurs besucht. Die Trainerin heißt zufällig Vivian. (Na ja, mit familiären Beziehungen kriegt man natürlich die besten Jobs.)
    Dafür, dass sie erst im Frühling Zwillinge bekommen hat, sieht sie schon wieder fantastisch aus. Sie ist in Topform. Aber nicht nur sie: auch ihre Zwillingsschwester (wie manche Passagiere meinen). Eben sah ich Sonja mit fliegenden Zöpfen den Zwillingskinderwagen über die Joggingmeile schieben. Damit ist ihr das ungeteilte Interesse aller Passagiere sicher. Hoffentlich verliert sie die Zöpfe nicht. Im Gegensatz zu den Zwillingen sind die nämlich nicht echt. Aber das wissen nur Eingeweihte.
    Wir haben uns wieder vertragen, Sonja und ich. Ich meine, wenn eine alte Freundin anruft und mit einer Schiffsreise für die ganze Familie winkt, wer bleibt denn da noch in seinem Schmollwinkel? Außerdem sieht sie das mit den Briefen jetzt aus einem ganz anderen Blickwinkel. Sie waren ja auch irgendwann, irgendwie für Sonja. Da ist sie letztlich flexibel.
    Den ersten, der wirklich ihr galt, hat sie mir freudestrahlend gezeigt:
    Ich
    kündige
    dir
    die Freundschaft,
    weil ich anfange,
    dich
    zu
    lieben.
    Süß, nicht? Da hat Rainer ganz tief in die Mottenkiste gegriffen. (Dass ich diesen Brief auch schon bekommen habe, habe ich Sonja gegenüber natürlich nicht erwähnt.)
    Rainer, ihr Lebensgefährte (schlank, modisch vorn dabei, kaum wiederzuerkennen), ist natürlich auch mit an Bord und versucht sich an langen Seetagen als Mediator und Eheberater. Er erkundigt sich bei den Kabinenstewardessen, wo es Krach oder Missverständnisse gibt, und dann schiebt er seine Gedichte unter den Kabinentüren durch. Das macht wahnsinnig Eindruck. Die Passagiere spüren, dass man sich persönlich um sie kümmert. Die Buchungsraten, so Viktor, sind enorm gestiegen.
    Ich meine, welch keifende Ehefrau ist nicht zu Tränen gerührt, wenn sie morgens unter dem Türspalt Folgendes vorfindet:
    Liebe
    macht vieles
    so viel leichter.
    Warum
    machen wir
    es uns
    so
    schwer.
    So was kann nur Rainer. Er liebt mit Haut und Haaren. Wir sind inzwischen gute Freunde. Und seine Modeberaterin möchte ich inzwischen auch nicht mehr schlagen. Ganz im Gegenteil! Ich möchte sie umarmen. (Tu ich auch!)
    Sonja war mir, wie gesagt, gar nicht mehr böse, als ich sie anrief und mitsamt ihrer Mischpoke auf diese Kreuzfahrt einlud. Zumal ich Vivian und ihr den Erlös aus dem Verkauf meiner Eigentumswohnung überwiesen habe. Ja, ich habe meine Dreizimmerwohnung in Butterblum verkauft. (Ich meine, was soll ich denn da, wenn Rainer nicht mehr dort wohnt?) Ich hatte Sonja schließlich versprochen, mich für Vivians Nachwuchs zuständig zu fühlen. Und ein kleines bisschen wollte ich damit auch Roman unter die Arme greifen. (Das darf aber niemand wissen! Sonst ist ja meine ganze tolle Erziehungsphilosophie im Eimer. Von wegen Suppe auslöffeln und so! Andererseits: Man muss auch mal ein Auge zudrücken, hat Mutter immer gesagt.)
    Inzwischen sind wir übrigens in der Karibik. Den Orient hatten wir ja letztes Jahr schon. Da waren Viktor und ich alleine. Mit unserem Sohn, natürlich. Aber der darf nicht in den Passagierbereich, außer er muss zum Dienst ins Casino. Es war fabelhaft! Nur Viktor und ich!
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