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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln
Autoren: Marta Randall
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sub­ti­le Wei­se war es den­noch so­fort als Hos­pi­tal zu iden­ti­fi­zie­ren: Aus ir­gend­ei­nem Grund ist das bei al­len der Fall, ganz gleich, wie raf­fi­niert die Fassa­de ge­stal­tet ist, ganz gleich, wie­viel Furcht und Angst die­se Mas­ke formt. Viel­leicht ist es ei­ne ge­wis­se Au­ra, ir­gend et­was, das laut ruft: „Hier be­fin­den sich ver­stüm­mel­te und ge­mar­ter­te Kör­per, hier sind Men­schen mit ge­bro­che­nem Rück­grat und ge­bro­che­ner See­le un­ter­ge­bracht, hier lie­gen die Ster­ben­den.“
    Ein Schwe­ber hob mich über die falsche Holz­trep­pe, und ich be­trat das ste­ri­le War­te­zim­mer, dem man ein bäu­er­li­ches Er­schei­nungs­bild ver­lie­hen hat­te. Die Sprech­stun­den­hil­fe führ­te mich zu ei­ner Bank, und ich nahm ge­dul­dig Platz, wäh­rend mei­ne ver­schie­de­nen Fin­ger­ab­drücke dem Com­pu­ter ein­ge­ge­ben und von ihm be­stä­tigt wur­den. Dann ver­brach­te ich wie ge­wöhn­lich ei­ne hal­be Stun­de da­mit, in dem weiß­ge­tön­ten Kraft­feld­bett zu lie­gen und dar­auf zu war­ten, daß sie be­gan­nen. Ich blick­te ein­mal aus dem Fens­ter und auf den Gar­ten blü­hen­der Fuch­si­en, dann wie­der auf die sorg­fäl­tig farb­ab­ge­stimm­ten Wän­de des ei­för­mi­gen Zim­mers, des­sen Ar­chi­tek­tur und Ein­rich­tung ganz ge­nau dar­auf ab­ziel­ten, an Angst­zu­stän­den lei­den­de Un­s­terb­li­che zu be­ru­hi­gen. Wie schreck­lich, ein Un­s­terb­li­cher zu sein, ei­ner ewi­gen Ju­gend er­war­tungs­voll ent­ge­gen­zu­bli­cken – und dann einen kran­ken, ver­stüm­mel­ten, ver­krüp­pel­ten Kör­per zu be­sit­zen. Wie ent­setz­lich, auf das Ni­veau von Tie­ren hin­ab­zu­zin­ken, denn nur Tie­re er­kran­ken, nur Tie­re wer­den alt, nur Tie­re ster­ben. Die grund­le­gen­de Lek­ti­on der Kind­heit, ge­nau­so wich­tig wie der Un­ter­schied zwi­schen klei­nen Mäd­chen und klei­nen Jun­gen. Wie scha­de für die Tie­re, für die Kat­zen und Hun­de und Sta­chel­schwei­ne, die nicht un­s­terb­lich sind und ewig jung blei­ben kön­nen, die auf­wach­sen, Jun­ge zur Welt brin­gen und dann alt wer­den und ster­ben müs­sen. Das ist ihr gan­zer Le­bens­in­halt, die Sum­me ih­rer Exis­tenz: Jun­ge zur Welt zu brin­gen und dann ab­zu­tre­ten! Mehr nicht. Das war die Phi­lo­so­phie ei­ner sie­ben­jäh­ri­gen Tia, und das ist die in Fleisch und Blut über­ge­gan­ge­ne und im­mer wie­der ver­geb­lich in Fra­ge ge­stell­te Denk­wei­se der Tia von heu­te, je­ner Tia, die ei­nes die­ser so be­dau­erns­wer­ten Tie­re ist.
    So lag ich al­so in­mit­ten be­drückend auf­hei­tern­der Far­ben in dem Bett und war vol­ler Mit­ge­fühl. Ich ha­be mich mit al­lem ab­ge­fun­den, re­de­te ich mir fälsch­li­cher­wei­se ein und sonn­te mich in den an mich selbst ge­rich­te­ten Glück­wün­schen für mein Ver­ständ­nis und Mit­leid, das ich je­nen ent­ge­gen­brach­te, die die­se Pas­tell­tö­ne brauch­ten.
    All das war na­tür­lich nutz­los. Sie di­ri­gier­ten mich in den Ope­ra­ti­ons­saal, und ich spür­te, wie mir die glei­che, tief ver­wur­zel­te Angst die Keh­le zu­zu­schnü­ren be­gann. In mei­nen Fin­gern schmerz­te das Ver­lan­gen, an den un­sicht­ba­ren und rou­ti­ne­mä­ßig an­ge­leg­ten Rie­men zu zer­ren, mei­ne Bei­ne woll­ten weg­ren­nen, und Schweiß schim­mer­te feucht auf mei­ner Haut. Doch ich hat­te ein Image zu wah­ren und schenk­te der Kran­ken­schwes­ter ein gleich­gül­ti­ges Lä­cheln, als sie die Elek­tro­den an mei­nem Kopf be­fes­tig­te.
    „Hal­lo, gu­ten Mor­gen“, sag­te sie jo­vi­al. „Da wä­ren wir al­so mal wie­der.“ Sie be­rühr­te einen Sen­sor, und ei­ne Lan­ze aus elek­tro­ni­scher An­äs­the­sie stach durch mein Hirn. „Wie füh­len wir uns denn heu­te mor­gen?“
    Sie er­war­te­te kei­ne Ant­wort, und ich konn­te die sar­kas­ti­sche Er­wi­de­rung, die hin­ter mei­nen ge­schlos­se­nen Lip­pen war­te­te, nicht aus­spre­chen. Ich spür­te, wie sich mei­ne Mus­keln lo­cker­ten, und die neb­li­gen Fin­ger der Schläf­rig­keit be­gan­nen mei­ne Ge­dan­ken zu strei­cheln. Ich kämpf­te so lan­ge wie mög­lich da­ge­gen an. Sie scho­ben
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