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Versuch über den stillen Ort (AT)

Versuch über den stillen Ort (AT)

Titel: Versuch über den stillen Ort (AT)
Autoren: Peter Handke
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erfaßt und weitergegeben werden. Und ich, der den ermaß, war dessen Geometer und sollte alssolcher tunlichst seinen Dienst ausüben. Wenn der nicht von Gemeinnutz war, was sonst, oder? Aber Schluß jetzt mit der Ironie; nicht zum ersten Mal erkenne ich, daß die, zumindest im Schriftlichen, nicht meine Sache ist.
    Im Ernst: Das Ortsgeschehen da sprang in die Augen, nicht bloß als der geometrische Ort der Klosettbrille, des Sockels, des Wasserbehälters, der Druckknöpfe, der Rohre, des Waschbeckens, des Wasserhahns undsoweiter, sondern darüber hinaus all der noch ganz anders nützlichen, lebensnotwendigen, gemeindienlichen und segensreichen kubischen Formen außerhalb dieses petit coin , des kleinen Winkels, außerhalb dieses mustarâch (arab.), des Ortes der Ruhe, auf der großen Kugel, welche früher einmal »Erdkreis« geheißen hatte. »Aeï ho theós geométrei«: Diese griechische Inschrift im Giebeldreieck eines alten Hauses geht mir beständig nach, und so übersetzeich sie auch für mich: »Der Gott, beständig geometert er« (= vermißt er die Erde.) Oder auch, für den, der den »Gott« und ebenso das Fremd-Wort aus dem Spiel haben möchte, und sogar das »beständig«: Es gestaltet sich.
    Ja, die Stillen Orte, in ihrer konzentrierten Geometrie, sind, in meinen Augen, neben anderen, wo es sich gestaltet, und meßbarer als an den meisten übrigen, den stillen Kämmerchen, den Einsiedlerhöhlen in den Wüsten, den Schweige-Klausuren, den Elektronen- oder Neutronen-sonstwas-Beschußbunkern, heutzutage zumindest, und, neben ihrer naturgemäßen Gemeinnützigkeit, von noch ganz anderem Gemeinnutz, einem anderen auch als das Silicon- oder sonstwie-Valley. – Und da habt ihr das Gemeinnutzsiegel für den Geometer der Stillen Orte, beurkundet hiermit von ihm höchstselber!? (Das Rufzeichen, gefolgt von einem Fragezeichen, so daß diese Geschichte weitergehen, und anders weitergehen und anders enden kann.)
    Nicht wenige Bücher habe ich gelesen, viele Photos habe ich betrachtet als Vorarbeit für diesen Versuch über den Stillen Ort. Aber kaum etwas davon hat in diesem seinen Platz gefunden. Die historischen und ethnologischen Abhandlungen zu dem, wie sagt man, Bedeutungswandel der Notdurftverrichtungen – von mehr öffentlich zu mehr abseits, und umgekehrt, von Ungeniertheit zu Scham, von Scham zu Gesellschaftsspiel, und das von Land zu Land, von Volk zu Volk, Zeit zu Zeit wechselnd –, die geben etwas zu lesen. Aber es war ja etwas Grundanderes, was mich lange vorher auf die Spur gebracht hatte, und die historischen, völkerkundlichen, soziologischen Lektüren haben diese Spur eher zu verwischen gedroht.
    Ebenso haben die Photos in den Bildbänden zu den »Toiletten der Welt« (samt Weltraum, siehe die Astronautenaborte), so erheiternd, staunenerregend, oft auch bekümmernd sie wirkten (siehe die Elendsviertel-, Kerker-, auch Todeszellen-Abtritte), der Phantasie, zumindest in meinem Fall hier, kaum Beine gemacht. Ach ja, die hölzernen Toiletten, die ein Indianerstamm in Panama oder wo hinaus in den Ozean baut, auf Stegen zu erreichen und von den schwimmenden Touristen nicht als »Kloaken« zu erkennen: Photo von solch einer ahnungslosen Schwimmerhand unten, mit Blick von oben hinab durch das Fäkalloch. Und ach, die Farbphotos von den vorhanglosen Betonquadernischen, für Jungen wie für Mädchen gleich, im afrikanischen Sambesiland, in Namibia, und sonstwo. Und, ah, immerzu in Afrika, jene Kabine scheint’s fern von jeder Zivilisation sonst, dafür aber mit Ausblick auf eine der größten und schönsten Wanderdünen des Erdkreises, samt Goldglanz des Sands im Morgen- oder Abendlicht. Und, oh, zu guter Letzt vielleicht noch die Photos aus Neuseeland, welche fast Lust machen, allein um des Stillen Ortes willen dorthin zu reisen: die Toilettenanlage, welche der Maler und Architekt Friedensreich Hundertwasser für eine kleine Stadt dort geschaffen hat in tausendundeiner Farbe und, wie es auch sonst seine Manier oder sein Bestreben war, jedem irgendwie rechten Winkel ausweichend – wenn aber Manier, so nicht, jedenfalls den Bildern nach zu schließen, hier, bei diesem Sozialwerk, angesichts dessen man dem Erbauer für manch nicht gar gute Meinung zu seinen anderen früheren Sozialbauwerken in aller Welt Abbitte leisten möchte. Widerspreche ich mir da nicht, nach meinen Bemerkungen zur Geometrie? Und wenn. Der Entwurf zu der Bedürfnisanstalt in Neuseeland ist im übrigen Hundertwassers letzte Arbeit vor
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