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Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)

Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)

Titel: Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)
Autoren: Helmut Schmidt , Giovanni di Lorenzo
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mehr davon als zum Beispiel in Holland, Dänemark, Österreich oder Deutschland.
    Das Platzen der Finanzblase war ja vor allem für die Bürger ein Schock: Viele haben nicht nur Angst um ihre Ersparnisse gehabt, sondern auch ihren Glauben an Gerechtigkeit verloren.
    Es war weniger die Angst um Ersparnisse als die Angst um ihren Arbeitsplatz. Ansonsten haben Sie recht: Das Gerechtigkeitsempfinden ist aufs Schwerste beleidigt worden.
    Und was bedeutet das für die Demokratien, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass die Politik die schlimmsten Fehlentwicklungen nicht mehr in den Griff bekommt?
    Ich glaube nicht, dass die deutschen Bürger derzeit denken, Bundestag und Bundesregierung kriegten die Sache nicht in den Griff. Die meisten haben verstanden, dass die gegenwärtige Finanzkrise und die Rezession der Weltwirtschaft nicht von den Deutschen angerichtet worden sind. Aber die Bürger erwarten, dass die deutsche politische Klasse die Amerikaner und andere Mitspieler auf der Welt drängt und drückt.
    Haben Sie denn den Eindruck, dass die deutsche Regierung die Obama-Administration zum Handeln drängt und drückt?
    Nein!
    Warum tut sie das nicht?
    Weiß ich nicht. Die Regierung Merkel/Westerwelle ist erstaunlich vorsichtig und zurückhaltend auf dem Feld der Finanzaufsicht, die eigentlich im deutschen Interesse gestrafft werden müsste. Und nicht nur da: Es kommen keine Vorschläge an die Adresse der Amerikaner, es gibt kaum Vorschläge zu Afghanistan, keine zu Iran, keine zu Israel versus Palästinenser.
    Diesen Vorwurf könnte man auch Gordon Brown oder Nicolas Sarkozy machen.
    Es fehlt beiden an Kontinuität, das stimmt. Aber Brown und Sarkozy sind auch nicht der Maßstab – der Maßstab ist das, was die deutsche Regierung tun könnte und was andere Regierungen zu anderen Zeiten fertiggebracht haben, zum Beispiel Herr Kohl im Jahr 1990. Nein, diese sehr taktische Zurückhaltung, die die deutsche Regierung im Augenblick zeigt, ist übergroßer Vorsicht geschuldet: jeden Konflikt vermeiden, niemandem auf die Füße treten. Man kann das auch nicht damit entschuldigen, dass diese Regierung neu ist, denn es ist ja weder Frau Merkel neu noch Herr Schäuble noch Herr Brüderle.
    Erwarten Sie von Herrn Brüderle Vorschläge für die Welt?
    Der bleibt wohl eine Fußnote in der Zeitgeschichte.
    Wann haben Sie denn in Ihrer Zeit als Politiker zum ersten Mal die Zeichen der Globalisierung bemerkt?
    Das fing ganz langsam in den siebziger und achtziger Jahren an. Richtig Schub bekommen hat die Globalisierung dann durch die Öffnung Chinas im Laufe der achtziger und neunziger Jahre und durch den Zusammenbruch der Sowjetunion. Damals kamen rund 1,2 Milliarden Chinesen und über 400 Millionen Menschen aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion hinzu, die sich als Exporteure und Importeure auf den Weltmärkten tummelten. Gleichzeitig gab es diesen enormen Fortschritt auf dem Gebiet der elektronischen Nachrichtenübermittlung, der das Geschehen auf den Weltmärkten gewaltig beschleunigt und eine Ausweitung der Finanzmärkte über den ganzen Erdball überhaupt erst ermöglicht hat. Ich habe diese Veränderungen zum ersten Mal in den siebziger Jahren gespürt.
    Wie haben Sie darauf reagiert?
    Schon damals bin ich – meistens von Parteifreunden – gehänselt worden, weil ich zu erklären versucht habe, dass Deutschland von der Weltwirtschaft abhängig ist. Das nannten sie »Helmut Schmidts Weltwirtschaftsoper«, und das mochten sie bald nicht mehr hören, denn ich habe immer wieder dasselbe gepredigt. Aber es ist ja nach wie vor richtig: Wir sind abhängig vom Auf und Ab in der Welt. Wir waren damals schon abhängiger als die USA und viel abhängiger als China. Zu meiner Regierungszeit machte der deutsche Export weniger als ein Viertel des Sozialprodukts aus, heute ist es beinahe die Hälfte.
    Sie sagen immer, man darf den Menschen keine Angst machen …
    Das ist richtig!
    … wenn sich aber auf den Finanzmärkten gerade eine neue Blase bildet und die dann wieder platzt – welcher Staat wird da noch die Reserven haben, um den Schaden abermals einzudämmen?
    Jetzt zerbrechen Sie sich den Kopf über das nächste Jahrzehnt.
    Das hat aber gerade begonnen!
    Ja, aber mit Ihrer neuen Blase sind Sie schon in der zweiten Hälfte oder am Ende des Jahrzehnts angekommen. Und ich glaube auch nicht, dass dann kein Geld mehr da sein wird. Staaten wie Deutschland oder Frankreich können sich immer noch höher verschulden. Es ist zwar richtig, dass
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