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Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)

Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)

Titel: Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)
Autoren: Helmut Schmidt , Giovanni di Lorenzo
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ist er ein dankbarer Interviewpartner. Das liegt nicht nur an seiner Pointensicherheit, an seiner Fähigkeit, Aktuelles auf der Folie der eigenen Biografie zu deuten oder an seiner Bereitschaft, sich auch persönlich zu öffnen. Einzigartig an ihm ist – man kann das angesichts der Erfahrung mit anderen aktiven und ehemaligen Politikern nicht oft genug herausstellen –, dass er Fragen nicht übelnimmt. Auch dann nicht, wenn sie zu deutlichen Meinungsverschiedenheiten führen, wie es in diesem Buch an manchen Stellen sichtbar wird, etwa wenn es um die Frage geht, ob er nicht mehr über die Verfolgung und Ermordung der Juden während des Nationalsozialismus hätte wissen können, oder um seine strikte Ablehnung militärischer Interventionen in heutigen Diktaturen, selbst wenn dort gerade Zivilisten massakriert werden. Solche Differenzen bleiben bestehen, wenn das Tonband ausgeschaltet ist, was eben auch zeigt: Helmut Schmidt ist nicht das Orakel von Hamburg-Langenhorn (wo er bis heute in einem flachen, polizeigeschützten Bungalow lebt, der noch ganz im Stil der sechziger Jahre gehalten ist), zu dem man ihn hier und da gerne stilisiert. Er ist ein streitbarer Mensch mit entschiedenen Meinungen, der seinen Zuhörern nicht nach dem Mund redet und allen Versuchen, ihn zum Vorbild zu machen, unwirsch begegnet.
    Helmut Schmidt schaut bis heute skeptisch auf jene seltene Art von Politikern, die Charisma besitzen. Göring, Goebbels und ganz besonders Hitler, sagt er, hätten diese Gabe für die abscheulichsten Verbrechen benutzt. Wenn er heute an politische Leitfiguren mit großer Ausstrahlung denkt, dann ist er schnell bei Oskar Lafontaine, aber der ist für ihn, wie hier im Buch mehrmals nachzulesen ist, auch eher ein Gottseibeiuns. Viel wichtiger, so findet er, seien Politiker, die ein Land kenntnisreich und mit Verantwortungsgefühl regierten.
    Wenn er so redet, dann denkt man an die vielen Porträts aus seiner Zeit als Minister und Bundeskanzler, in denen er als pflichtbewusster und effizienter Machtmensch beschrieben wird, als Gegenentwurf zu seinem Rivalen und Mitstreiter Willy Brandt, an dessen Charisma im Nachkriegsdeutschland niemand heranreicht.
    Aber natürlich ist Helmut Schmidt inzwischen selbst eine Persönlichkeit mit großer Ausstrahlung. Sie schöpft aus ganz eigenen Quellen: der Standfestigkeit, der intellektuellen Redlichkeit, der Bereitschaft, Gegenwind auszuhalten. Und aus der Fähigkeit, ein Jahrhundert nicht nur zu leben, sondern auch zu denken.
    Giovanni di Lorenzo, Ende Juli 2012

»Man muss etwas riskieren«
    Über den Bundestagswahlkampf 2009
    September 2009. Die Bundestagswahl steht unmittelbar bevor. Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier, eben noch Partner in der Großen Koalition, kämpfen nun gegeneinander um Stimmen. Von politischer Leidenschaft oder gar Aufbruchstimmung ist in Deutschland allerdings nur wenig zu spüren. Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan spielt im Wahlkampf kaum eine Rolle, obwohl das Thema die Öffentlichkeit sehr bewegt.
    Herr Schmidt, alle Welt beklagt sich, dass dieser Wahlkampf so langweilig sei. Und dann wird voller Sehnsucht an die Schlachten der alten Kämpen erinnert, als zum Beispiel Helmut Schmidt noch Franz Josef Strauß abwehren musste. Wie empfinden Sie denn den Wahlkampf?
    Zunächst einmal stimmt es, dass dieser Wahlkampf relativ langweilig ist. Wenn in der Kritik aber die Vorstellung mitschwingt, zu einem ordentlichen Wahlkampf gehörten Verbalinjurien, dann kann ich das nicht teilen. Was ich an diesem Wahlkampf auszusetzen habe, ist der Umstand, dass Themen, die die Menschen sehr berühren, nicht wirklich behandelt werden.
    Welche Themen sind das?
    An erster Stelle unser militärisches Engagement in Afghanistan. Zweitens die Frage, wie wir die finanzielle Stabilität unseres Sozialstaats aufrechterhalten können. Und drittens, wie wir mit dem großen Schuldenberg fertig werden, der nicht nur den Sozialstaat bedroht, sondern auch die politische Handlungsfähigkeit kommender Generationen.
    Fangen wir mit Afghanistan an. Auf Ihrem Schreibtisch liegt die Regierungserklärung der Kanzlerin. Sie hat den Einsatz erneut gerechtfertigt und Bündnistreue geschworen.
    Viel anderes als das, was in ihrer Erklärung steht, hätte sie nicht sagen können. Eine ganz andere Frage ist, ob es nicht schon lange vor dem Wahlkampf tief greifende wiederholte Debatten im Parlament hätte geben müssen. Viele militärische Fachleute haben diese Operation von Anfang an
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