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Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)

Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)

Titel: Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)
Autoren: Helmut Schmidt , Giovanni di Lorenzo
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So wie man Heroin unter der Hand in riesigen Mengen handelt, kann man auch angereichertes Uran handeln. Es hat derartige Fälle in Pakistan gegeben. Terroristen brauchen für einen atomaren Anschlag nicht unbedingt Raketen mit großer Reichweite oder Militärflugzeuge. Es genügt schon ein einfacher Container, den man als Luftfracht verschicken oder in einen fremden Hafen verschiffen kann. Deshalb muss die Verbreitung von waffenfähigem Uran unter Kontrolle gebracht werden.
    Ihr Mitstreiter Hans-Dietrich Genscher hat die Atommächte zur Abrüstung aufgefordert. Aber wie könnten zum Beispiel Amerikaner und Russen abrüsten, wenn andere Atomstaaten das nicht tun?
    Zunächst einmal haben die beiden großen Atommächte auch nach Abschluss des Atomwaffensperrvertrags weiterhin in hohem Maße neue Atomwaffen und neue Trägersysteme entwickelt, produziert und einsatzbereit gemacht. Beide erfüllen diesen Vertrag nicht.
    Selbst wenn sie das tun würden: Was nützte das im Hinblick auf Pakistan, Indien oder Nordkorea?
    Das kann man nicht vorhersagen. Aber ich würde umgekehrt sagen: Die Tatsache, dass Russen, Amerikaner und Chinesen – Engländer und Franzosen übrigens auch – den Vertrag nicht erfüllen, stellt aus der Perspektive Indiens, Pakistans und Israels eine der größten Bedrohungen dar.
    Was wäre passiert, wenn während der Blockkonfrontation eine Atommacht die Meldung erreicht hätte, dass eine Rakete auf sie zufliegt? Hätte sie wirklich innerhalb von vier bis acht Minuten reagieren müssen?
    Das bezweifle ich. Warum hätten die USA sofort reagieren sollen, wenn ihre eigenen Gegenschlagswaffen unverwundbar waren? Sie waren zum Beispiel auf U-Booten im Nordatlantik stationiert oder lagen tief verbunkert im Festland. Die USA hätten nicht innerhalb von vier Minuten reagieren müssen.
    Es wäre beruhigend, wenn man eine Waffe hätte, mit der man die Rakete, die auf einen zufliegt, noch in der Luft unschädlich machen könnte.
    Ich habe Erfahrungen, was das Abschießen von Flugzeugen angeht. Das ist schon sehr, sehr schwer. Eine Rakete abzuschießen ist noch viel schwieriger.
    Sie glauben nicht an die Abwehrschirme im Weltall?
    Ich glaube, dass man Glück haben und eine Rakete vom Himmel holen kann. Man kann aber auch Pech haben. Letzteres kommt mir einstweilen wahrscheinlicher vor.
    Ist der Raketenschild also nur eine Propagandawaffe?
    Ja, die Propaganda stammt von Ronald Reagan, dessen Vorbild »Star Wars« war. Man muss Reagan allerdings zugutehalten, dass er derjenige war, der später mit Gorbatschow den INF-Vertrag über die Vernichtung nuklearer Mittelstreckenraketen zustande gebracht hat. Bei all seiner scheinbar blutrünstigen Sternekriegsführung im Weltall war er doch der Ratio zugänglich.
    Was müssten Friedensfreunde heute tun, um gegen die neue atomare Bedrohung zu mobilisieren?
    Ich wäre schon glücklich, wenn wir damit anfingen, die sogenannten taktischen Atomwaffen abzuschaffen. Wenn man eine weltweite Debatte auslösen will, muss man einen Streitpunkt setzen, der zu Kontroversen führt. Dafür eignet sich die These, die taktischen Nuklearwaffen müssen aus Europa verschwinden. Man könnte auch einen Non-first-use-Vertrag fordern: Das würde die Leute wunderbar aufregen, vor allem viele Militärs! Was wir mindestens brauchen, sind einseitige Erklärungen: Russen und Amerikaner müssen offiziell verkünden, dass sie niemals als Erste eine Atomwaffe gebrauchen werden. Bisher haben nur die Chinesen eine solche Erklärung abgegeben.
    Warum tun Amerikaner und Russen das nicht?
    Das müssen Sie Amerikaner und Russen fragen. Letztlich steckt wohl Größenwahn dahinter.
    Wenn man Ihnen so zuhört, könnte man meinen, Sie hätten eine Vision. Dabei haben Sie doch mal gesagt: Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.
    Diesen Satz habe ich ein einziges Mal gesagt, er ist aber tausendfach zitiert worden. Einmal hätte genügt.
    Wie ist er überhaupt in die Welt gekommen?
    Das weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich habe ich ihn in einem Interview gesagt. Das muss mindestens 35 Jahre her sein, vielleicht vierzig. Da wurde ich gefragt: Wo ist Ihre große Vision? Und ich habe gesagt: Wer eine Vision hat, der soll zum Arzt gehen. Es war eine pampige Antwort auf eine dusselige Frage.
    Aber wenn eine atomwaffenfreie Welt keine große Vision ist, was ist sie dann?
    Eine Zielsetzung, von der ich nicht glaube, dass sie erreicht werden kann. Es wäre schon viel wert, wenn die beiden großen Atommächte damit anfingen,
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