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Versprechen eines Sommers

Versprechen eines Sommers

Titel: Versprechen eines Sommers
Autoren: Susan Wiggs
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wehgetan haben.
    Seine Augen verengten sich, und sein Gesichtsausdruck wurde hart. Eine Sekunde sah er wirklich Furcht einflößend aus. „Es ist nichts“, sagte er. „Ich bin vom Fahrrad gefallen. Aufregend, was?“ Er wirbelte auf dem Absatz herum und ging so schnell weiter, dass Lolly sich beeilen musste, um mit ihm Schritt zu halten.
    „Ich wollte dich nicht verärgern.“
    „Das hast du auch nicht“, brüllte er sie beinahe an. Dann ging er noch ein bisschen schneller.
    Das ging fix, dachte sie. Der erste Feind des Sommers. Es würden gewiss noch eine ganze Menge folgen. Sie hatte ein Händchen dafür, Menschen gegen sich aufzubringen.
    Auch wenn Connor sagte, dass er nicht böse auf sie war, war er trotzdem böse auf irgendwas anderes. Da war Wut in seinen angespannten Muskeln zu sehen, in den abgehackten Bewegungen. Er war vom Rad gefallen, na und? Normalerweise verletzte man sich dabei Ellenbogen und Knie, vielleicht den Kopf. Aber auf keinen Fall den Rücken, außer man rollt einen Hügel herunter und schlägt hart auf. Oder man lügt über das, was wirklich geschehen ist.
    Sie war sowohl fasziniert als auch enttäuscht von diesem Jungen. Enttäuscht, weil sie ihn verzweifelt nicht mögen wollte, um nicht den ganzen Sommer über an ihn denken zu müssen. Und fasziniert, weil er interessanter war, als ihm zustand. Er war auch ein wenig unangepasst, mit seinen langen Haaren, der tief sitzenden Hose und den mit Klebeband reparierten Turnschuhen. Und in seinen Augen lag etwas anderes als nur der übliche Jungenkram. Diese gleichen Eiswürfel-Augen, die David Copperfield gelesen hatten, hatten vermutlich Dinge gesehen, die sich ein Mädchen wie Lolly gar nicht vorstellen konnte.
    Sie bogen um eine Haarnadelkurve und wurden von einem lauten, steten Wasserrauschen empfangen.
    „Wow“, rief Connor aus und legte den Kopf in den Nacken, um den dreißig Meter hohen Wasserfall zu bestaunen. Er rauschte aus einer unsichtbaren Quelle hoch über ihnen herunter, stürzte über Steine und ließ einen feinen Nieselregen aufsteigen, der in allen Farben des Regenbogens glitzerte. „Das ist Wahnsinn.“ Seine schlechte Laune schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
    „Meerskill Falls“, erklärte Lolly, wobei sie beinahe brüllen musste, um das Rauschen des Wassers zu übertönen. „Einer der höchsten Wasserfälle im ganzen Staat. Komm mit, von der Brücke aus hat man den besten Blick.“
    Die Meerskill Bridge war in den 1930er-Jahren von einer staatlichen Baukolonne erbaut worden. Schwindelerregend hoch, spannte sich der Betonbogen über die Schlucht. Unter ihr dröhnte der Wasserfall. „Die Einheimischen nennen das hier die Selbstmordbrücke, weil sich schon einige umgebracht haben, indem sie von hier heruntergesprungen sind.“
    „Ja, sicher.“ Er schien von den Kaskaden angezogen zu werden, die den Weg auf beiden Seiten befeuchteten und so einen dicken Teppich aus Moos und Farn hervorgebracht hatten.
    „Nein, ernsthaft. Deshalb ist die Brücke mit Maschendraht eingezäunt worden.“ Sie beeilte sich, zu ihm aufzuschließen. „Er wurde angeblich vor über fünfzig Jahren angebracht, nachdem zwei Teenager in den Tod gesprungen waren.“
    „Woher weiß man, dass sie gesprungen sind?“
    Der Sprühnebel hatte sich über seine dunklen Haare und seine Wimpern gelegt und ließ ihn noch süßer aussehen.
    Lolly fragte sich, ob sie auch süßer aussah. Vermutlich nicht. Bei ihr sorgte der Nebel nur dafür, dass ihre Brillengläser beschlugen. „Ich schätze, das wusste man einfach.“ Sie erreichten den Anfang der Brücke und überquerten sie unter dem wie ein Baldachin geformten Maschendrahtzaun.
    „Vielleicht sind sie ja auch aus Versehen hinuntergefallen. Oder sie sind geschubst worden. Vielleicht haben sie auch gar nicht existiert.“
    „Bist du immer so skeptisch?“, wollte sie wissen.
    „Nur wenn jemand mir blödsinnige Geschichten erzählt.“
    „Das ist kein Blödsinn, da kannst du jeden fragen.“ Sie reckte ihre Nase in die Höhe und marschierte entschlossen zum Ende der Brücke und um die folgende Wegbiegung, ohne darauf zu achten, ob er hinterherkam. Eine ganze Weile gingen sie in Schweigen. Inzwischen waren sie weit hinter den anderen zurückgefallen, aber ihm schien es nichts auszumachen, und Lolly fand das eine gute Einstellung. Bei der heutigen Wanderung ging es sowieso nicht darum, als Erste ins Ziel zu kommen.
    Hin und wieder warf sie ihm verstohlene Blicke zu. Vielleicht könnte sie ja ein
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