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Versprechen eines Sommers

Versprechen eines Sommers

Titel: Versprechen eines Sommers
Autoren: Susan Wiggs
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das Fernglas und pfiff dabei leise durch die Zähne. Lolly erkannte das Lied. „Stop Making Sense“ von den Talking Heads. Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich mit einem Mal schwach und zerbrechlich, so wie damals, als man sie aus dem See gezogen hatte. Schlimmer noch, sie weinte sogar. Sie wusste nicht, wann genau sie damit angefangen hatte, aber sie musste jetzt all ihre Kraft einsetzen, um wieder damit aufzuhören.
    „Wir sollten weitergehen“, sagte sie endlich. Mit dem Bandana wischte sie sich die Tränen ab und fühlte sich schrecklich dumm. Warum hatte sie diesem Jungen, den sie nicht einmal mochte, all diese Sachen erzählt?
    „Okay.“ Er reichte ihr das Fernglas und kehrte auf den Weg zurück. Es war vorher ja schon nicht ganz einfach gewesen zwischen ihnen, aber ihr Zusammenbruch und das Heulen hatten eine Freundschaft zwischen ihnen wohl endgültig unmöglich gemacht.
    Verzweifelt versuchte sie, das Thema zu wechseln. „Wusstest du, dass jeder Betreuer hier ein ehemaliger Camp-Teilnehmer ist?“
    „Nö.“
    Sie würde in der Gerüchteküche noch einiges dazulernen müssen, wenn sie den Jungen beeindrucken wollte. „Die Betreuer haben ein geheimes Leben“, sagte sie. „Nicht jeder weiß das, aber nachts feiern sie diese wilden Partys. Viel Alkohol und Rumgeknutsche und so.“
    „Ach ne. Erzähl mir was, was ich noch nicht weiß.“
    „Nun, wie wäre es damit, dass die Chefköchin Gertie Romano am Schönheitswettbewerb zur Miss New York State teilnehmen wollte, dann aber schwanger wurde und ihre Kandidatur zurückziehen musste? Und Gina Palumbo – die aus der Schlafbaracke – hat mir erzählt, dass ihr Vater ein echter Mafiaboss ist. Und Terry Davis, der Hausmeister, ist Alkoholiker.“
    Connor wirbelte herum und funkelte sie an. Durch die heftige Bewegung fiel sein T-Shirt zu Boden. Sie hob es auf. „Hey, du hast was verloren.“ Auf der Vorderseite hatte es einen kleinen Ketchupfleck, und in den Kragen war ein Schild mit dem Namen Connor Davis eingenäht.
    „Davis“, sagte sie leise, und die Erkenntnis überkam sie mit einem heißen Brennen wie ein böser Hautausschlag. „Ist das dein Nachname?“
    „Bisschen neugierig, was?“, bemerkte er. Dann schnappte er sich das T-Shirt und zog es sich über den Kopf. „Natürlich ist das mein Nachname, du Genie, sonst hätte ich ja wohl kein Schild mit dem Namen in meinem Shirt, oder?“
    Lolly vergaß zu atmen. Oh, verdammt. Davis . Wie in Terry Davis. Verdammter Müllmistdreck aber auch. „Also ist“, stotterte sie. „Steht Mr Davis in irgendeinem, äh, verwandtschaftlichen Verhältnis zu dir?“
    Connor ging mit großen Schritten weiter. Seine Ohren waren feuerrot, und die Wut umgab ihn wie eine dunkle Wolke. „Ja, das tut er. Er ist mein Vater. Der Alkoholiker.“
    Sie sprang ihm hinterher. „Hey, warte“, rief sie. „Hey, es tut mir leid. Ich wusste nicht … mir war nicht klar … oh, Mann. Ich hätte das nicht sagen sollen. Es ist nur dummer Klatsch, den ich irgendwo aufgeschnappt habe.“
    „Ja, du bist ’ne echte Komikerin.“
    „Bin ich nicht. Ich bin fürchterlich. Ich fühle mich fürchterlich.“ Sie musste rennen, um mit ihm Schritt zu halten. Wie zäher Schweiß legte sich das Schuldgefühl über ihren ganzen Körper. Man sagt keine bösen Sachen über die Eltern anderer Leute. Das sollte sie doch wissen. Ihre Eltern waren auch ziemlich schrecklich, aber sie würde sich trotzdem angegriffen fühlen, wenn jemand eine entsprechende Bemerkung machte.
    Aber wie hätte sie es wissen sollen? Wie standen die Chancen? Alle sagten immer, dass Terry Davis keine Familie hätte. Er bekam auch niemals Besuch, also wäre sie nie auf die Idee gekommen, dass er einen Sohn haben könnte. Trotzdem hätte sie ihren vorlauten Mund halten sollen.
    Terry Davis hatte einen Sohn. Erstaunlich. In all den Jahren, die der stille, melancholische Mann schon im Camp arbeitete, hatte sie nichts davon geahnt. Sie wusste nur, dass sein Vater und ihr Großvater gemeinsam im Koreakrieg gekämpft hatten. Granddad sagte, sie hatten sich getroffen, als sie den Fluss Han bombardierten, und dass Mr Davis ein Held gewesen war. Aus diesem Grund würde er immer einen Platz im Camp Kioga haben, komme, was wolle. Sogar wenn er – wie sie so dumm herausposaunt hatte – ein Alkoholproblem hatte. Er gehörte inzwischen zum Inventar des Camps und lebte in einer der Hütten für die Angestellten am Rand des Camps. Diese Hütten boten den Köchen, Gärtnern,
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