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Verrückte Zeit

Verrückte Zeit

Titel: Verrückte Zeit
Autoren: Kate Wilhelm
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Kellnerin zu einem Nischenplatz.
    Von der anderen Seite des Restaurants aus beobachtete Daniel Patrick Corcoran sie beim Hereinkommen und spürte eine gewisse Unruhe in sich. Joanna Custer redete weiter; er zwang sich, sie anzusehen, doch gleich darauf schweifte sein Blick wieder ab zu der hochgewachsenen Frau. Die Königin von Saba, dachte er. Minerva. Juno.
    »Ich glaube nicht, daß du wirklich die Absicht gehabt hast, nach L.A. zu gehen«, beendete Joanna ihren Redefluß mit einem Hauch von Wildheit, der ihn überraschte. Schon das Wort wild war im Zusammenhang mit Joanna eine abwegige Vorstellung. Sie war rosa und golden und überall rund. Wildes Marshmallow? Wilde Kornblumen? Wilde Spitzen und Seide?
    »Du hörst mir überhaupt nicht zu«, fuhr ihn Joanna an. Sie trank ihren Irish Coffee aus und setzte den Becher mit Wucht ab.
    »Joanna, was hätte ich denn tun sollen? Ich hatte das Flugticket, das Hotel war reserviert, und der Termin war für morgens um neun angesetzt. Und dann kam der Nebel. Ich habe ihn nicht bestellt, das kannst du mir glauben.« Er war kein großer Mann, und er hatte rotes Haar – zwei Schicksalsschläge, mit denen er seit seiner Pubertät zu leben gelernt hatte. Und außerdem arbeitete er ziemlich ungern für jemand anderen, und das war der dritte Schicksalsschlag. In diesem Moment, da er mit uneingeschränkter Aufmerksamkeit Joanna und ihren Vorhaltungen hätte zuhören müssen, da sie, wie sie immer wieder betonte, viel besser als er selbst wußte, was gut für ihn war, merkte er, daß seine Hände in der Art zuckten, wie sie es immer taten, wenn er jemanden sah, der in seine Galerie der Comicgestalten gepaßt hätte. Was ihm am meisten Spaß machte und worin er gut war, war die politische Karikatur, und das war Schicksalsschlag vier, mit dem er sich abfinden mußte, denn in der Welt wimmelte es nur so von politischen Karikaturisten. Er wurde aus seiner Betrachtung der Gestalt Minervas herausgerissen durch Joannas Stimme, die schrill geworden war.
    »Ich hatte dir ja vorgeschlagen, am Montag mit dem Zug zu fahren. Wir hatten solchen Nebel wie diesen immer wieder, den ganzen Winter über. Es war vorauszusehen, daß er wieder kommen würde. Du wärst jetzt längst dort und könntest dich darauf vorbereiten, am Morgen einen guten Eindruck zu machen. Der Himmel mag wissen, ob sie dazu zu bewegen sein werden, dir noch einmal eine Chance zu geben.«
    Er nickte. Jetzt würde es also wieder mal kommen.
    »Es war nämlich gar nicht so leicht, überhaupt einen Termin für ein Gespräch für dich zu bekommen«, sagte Joanna. »Ich war auf einen großen Teil Goodwill angewiesen, den ich vielleicht eines Tages für mich selbst hätte brauchen können, verstehst du?«
    Es war nicht sein Wille, daß seine Hände aktiv wurden. Er hatte nicht die Absicht, in seinen Taschen nach seinem Skizzenbuch zu suchen, hatte nicht das Verlangen, Minerva zu zeichnen, hatte nicht vor, Joanna noch mehr vor den Kopf zu stoßen, als er es bereits getan hatte, indem er wegen Nebels in Seattle festsaß, anstatt sich unterwegs nach Hollywood zu einem großartigen Job und einer großartigen Zukunft als Karikaturist in Sonntagmorgen-Kindersendungen zu befinden. Er mochte Joanna sehr gern, manchmal glaubte er sogar fest, sie zu lieben, und er wußte, daß er ihr dankbar zu sein hatte und es auch war; nicht wegen des Gesprächstermins in Hollywood, den ihr Bruder unter Ausübung von Druck für ihn arrangiert hatte, sondern vielmehr deshalb, weil sie mit ihm ins Bett ging. Und für einen Mann, der bei aufrechtester Haltung nicht mehr als einsfünfundsechzig groß war und dazu noch rotes Haar hatte, bedeutete das einiges. Hin und wieder hatte er versucht, Joanna zu zeichnen, doch sie geriet ihm immer wie ein Mehlkloß. Nett und süß und reizend, aber eben ein Mehlkloß. Minerva dagegen, mit dieser wundervollen Halslinie, den feinen Knochen … seine Hände gehorchten einem Willen, der nicht der seine war; sie brachten das Buch und einen Bleistift zum Vorschein und begannen, ohne seine Anweisung zu arbeiten.
    »Was machst du …?« Joanna stand mit einem Ruck auf und drehte sich schwungvoll in der Nische um; dann wandte sie sich noch einmal mit einem sehr rosafarbenen Gesicht zurück. »Das reicht! Ich gehe. Du kannst zu Fuß nach Hause gehen oder kriechen, wenn du willst, oder hierbleiben und dich als Künstler betätigen! Aber mach dir nicht die Mühe, mich anzurufen!«
    »Joanna, warte doch! Wir haben doch noch nicht gezahlt.
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