Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verrückt bleiben

Verrückt bleiben

Titel: Verrückt bleiben
Autoren: Else Buschheuer
Vom Netzwerk:
anderen. Suchen Sie sich Vorbilder! Machen Sie Fehler! Riskieren Sie Irrtümer. Leben Sie nicht nach Norm und Gesellschaft; leben Sie nach Intuition und Instinkt. Sie werden vielleicht nicht gleich Master of the Universe, aber Sie werden erstaunliche Entdeckungen machen.

2. Nomen est Omen
    »Der Name ists, der Menschen zieret,
    weil er das Erdenpack sortieret -
    bist du auch dämlich, schief und krumm:
    Du bist ein Individuum.«
    Kurt Tucholsky

Faust sagt, der Name sei Schall und Rauch. Das stimmt aber nicht. Es gibt eine Geschichte von Peter Bichsel, die handelt von einem Mann, der die Gegenstände in seiner Wohnung umbenennt. »Dem Bett sagte er Bild, dem Tisch sagte er Teppich, dem Stuhl sagte er Wecker, der Zeitung sagte er Bett, dem Spiegel sagte er Stuhl, dem Wecker sagte er Fotoalbum, dem Schrank sagte er Zeitung.« Er findet sich in seiner selbsterschaffenen Welt besser zurecht als in der Wirklichkeit – nur draußen versteht ihn niemand mehr. Die anderen halten den Mann für verrückt, dabei ist er nur ver-rückt.
    Wenn ich einen Roman schreibe und mir einen Helden ausdenke, dann trägt er anfangs den Namen einer mir bekannten Person, mit deren Eigenheiten ich meine Figur füttern will. Beginnt die Figur aber zu leben, dann muss ich ihr einen anderen Namen geben, einen eigenen. Es ist wie in der Bibel: »Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.«
    Meine Eltern gaben mir den Namen Sabine. Ich war wie eine Sabine frisiert, ich sprach wie eine Sabine, ich trug eine Sabine-Brille und hatte einen Sabine-Humor. Als ich in die Schule kam, war ich eine von drei Sabines. Wir versuchten, uns mit Hilfe von Spitznamen voneinander zu unterscheiden. Biene. Bienchen. Sabinchen. Einmal schrieb ich in ein Poesiealbum: »Denke stets ganz ohne Groll an Billefine Knollefoll.« Ab und zu traf ich jemanden, der meinen Namen nicht mochte. Einmal sagte einer, das sei ein »WBS-Siebzsch-Name«. WBS 70, so hieß der Plattenbautyp, in dem wir damals wohnten. Da hieß man eben Sabine. Die Frage, ob ich meinen eigenen Namen mochte, wurde also von außen an mich herangetragen.Ich selbst hätte sie mir nicht gestellt, genauso wenig, wie ich hinterfragte, warum ein Baum Baum heißt und ein Tisch Tisch. Es war eben so.
    Als ich 16 war, trat Else Lasker-Schüler in mein Leben. Jemand schenkte mir ein zerfleddertes Buch mit ihren Gedichten und Texten. »Meine Gedanken kräuseln sich, ich muss tanzen«, schrieb sie. »Meine Dankbarkeit reitet auf Elefanten und kann nicht auf dem Bauch kriechen«, schrieb sie. »Mein Herz geht langsam unter, ich weiß nicht wo«, schrieb sie. Sie war eine Dichterin, sie wollte eine Kriegerin sein, sie schimpfte über Goethe, weil er »Wipfeln« auf »Gipfeln« reimte. Sie unterschrieb mit »Ihre dichtende, vernichtende, Else Lasker-Schüler«.
    Sie war eine Jungentochter gewesen wie ich, sie spielte lieber mit Jungen als mit Mädchen, ihr Leben lang. Sie ernährte sich nur von Nüssen und Obst, trug riesige Ohrringe, »Dienstmädchenringe« (Gottfried Benn), weite Hosen. Sie übernachtete auf Parkbänken und in Kinosesseln. Wenn ihre Schuhe Löcher hatten, klebte sie Papier drauf. Sie war eine öffentliche Frau, die im Kaffeehaus saß, billigen Wasserkakao trank und ihre Gedanken auf Servietten, auf Rechnungen, auf Zeitungsränder schrieb. Sie schrie ihren Zorn heraus, ihre Liebe und ihre ganze Unmöglichkeit. Else Lasker-Schüler war die erste Wahlverwandte meines Lebens. Ich sah ein Selbstbildnis von ihr mit einem Davidstern auf der Stirn und einem Mond auf der Wange. Die wollte niemandem gefallen, die war wesentlich. Mensch, werde wesentlich!
    Ich färbte meine Haare schwarz und schnitt sie nackenkurz, ich hängte mir Weihnachtskugeln an die Ohren, ich versuchte mich (glücklicherweise nur kurz) im Dichten und nannte mich fortan Else. Es fehlte nicht viel, und ich hätte mein Klavier blau angemalt, so stark war damals mein Wunsch, ganz in dieser Frau aufzugehen. Am Anfang steht die Imitation. Mit 20 Jahren, am 18. März 1986, fand ich im Standesamt Berlin-Pankow eine verständnisvolle Sachbearbeiterin. Sie holtediverse Informationen über mein »Rufbild« ein – tatsächlich wurde ich von meinen Kommilitonen und Kollegen Else genannt – und bewilligte eine amtliche Vornamensänderung. Das war durchaus ein institutioneller Glücksfall. Es gab keinen vernünftigen Grund, dieser Vornamensänderung zuzustimmen. Sie tat es. Die Sachbearbeiterin war eine Heldin des Alltags. Ob sie noch lebt? Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher