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Verrückt bleiben

Verrückt bleiben

Titel: Verrückt bleiben
Autoren: Else Buschheuer
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Wie-sie-alle-heißen haben bereits sehr früh formuliert, dass sie eines Tages berühmt sein werden. Ihre Notizen wurden von ehrgeizigen Eltern aufgehoben. Die Beweisdokumente erwecken heute ungläubiges Staunen. Woher wussten die denn das als Kinder? Die Wahrheit ist ebenso simpel wie bestechend. Auch Bodo Bommel und Erna Kasuppke kritzelten einst was von Ruhm in ihre Tagebücher – aber es ist nichts geworden, und niemand gibt heute einen Pfifferling dafür.
    Es muss nicht Ruhm, es darf auch ein anderer Traum sein. Wie kommt der Mensch weiter? Wie wächst er über sich selbst hinaus? Was stimuliert ihn? Es heißt immer, man soll nichts persönlich nehmen. Ich halte das für falsch. Das Leben persönlich nehmen und danach handeln, so geht es. Die Existenzialisten hatten recht: Man definiert sich durch die Entscheidungen, die man trifft. Rudolf Nurejew, der berühmte russische Tänzer, war vermutlich mit dem Gesetz der Schwerkraft vertraut. Er hat dennoch versucht, sie aufzuheben. Er kam dem Fliegen sehr nahe. Aber man muss immer mit Rückschlägen rechnen (Ikarus).
    Der englische Astrophysiker Stephen Hawking war davon überzeugt, dass sich die Zeit umkehren lassen müsse. Wenn eine Teetasse vom Tisch fällt, dann prallt sie auf dem Boden auf und geht kaputt. Hawking berechnete, dass das Universum nach einer gewissen Zeitspanne aufhören würde, sich auszudehnen, und dann beginnen würde, in sich zusammenzufallen. Seine Folgerung: Alle Scherben der zerbrochenen Tasse würden sich wieder zusammenfügen, die Tasse würde zurück auf den Tisch springen, alle Menschen würden rückwärts leben, vom Alter in die Jugend. Kranke Menschen, Menschen wie er, würden immer gesünder werden und immer jünger. Und anstatt zu sterben, würden sie irgendwann in den Schoß der Mutter zurückkriechen.
    Mehrere Monate rechneten zwei von Hawking beauftragtePhysiker seine Gleichungen nach, sie berücksichtigten alle Sonderfälle, schrieben ein Computerprogramm, das wiederum ihre Berechnungen überprüfen sollte, kamen aber, trotz aller Bemühungen, nicht zu dem von Hawking gewünschten Ergebnis. Er hatte sich verrechnet. Die Zeit würde sich nicht umkehren. Das Universum würde nicht kollabieren. Der große Denker Stephen Hawking hatte sich geirrt. Aber er ließ sich nicht be-irren. Er forschte weiter. Heute gilt er als Master of the Universe, als Jahrhundertgenie. Es heißt sogar, Frauen halten ihm ihre Babys hin, damit er sie berührt.
    Trial and Error. Weitermachen. Sich nicht beirren lassen. Nicht auf jede Frage gibt es eine Antwort, dennoch kann man danach suchen. »Ich wüsste nicht, was Gott mir auf den Zug e2-e4 antworten könnte«, sagte der Schachweltmeister Bobby Fischer. Aber er wollte es wissen, so sehr, dass er verrückt wurde. Eine Idee verfolgen, die so kühn ist, dass alle anderen Menschen sie für dämlich halten, mit einer Erkenntnis nackt auf die Straße zu laufen wie Archimedes und »Heureka!« rufen – so muss es sein. Wer einen Gedanken zum ersten Mal denkt und ausspricht, steht oft vor den anderen als Depp da. Es ist aber auch schwierig. »Der Stein der Weisen sieht dem Stein der Narren zum Verwechseln ähnlich«, sagt Joachim Ringelnatz. Vorgekautes klingt vertraut, Neues klingt fremd. Behält der Denker recht, haben es alle schon immer gewusst. Irrt er sich – dann sowieso.
    Der Psychiater Oliver Sacks erzählt in seinem Buch »Der Mann, der seine Frau mit dem Hut verwechselte«, wie er einem Patienten eine Rose zeigt mit der Bitte, sie zu beschreiben. Der Patient identifiziert sie als »rotes, gefaltetes Gebilde mit einem geraden grünen Anhängsel«. Ist das richtig oder falsch? Ist das Wahnsinn oder Poesie?
    Der Dichter Jean Genet schlug einmal Journalisten vor, ein Interview im Kopfstand durchzuführen, das vermittle neue Sichtweisen. »Das Falsche ist oft die Wahrheit, die auf dem Kopf steht«, sagt Freud. Selber denken, es anders anpacken,die Dinge um 180 Grad drehen. Was ist so schlimm daran, wenn man etwas schräg in die Welt gebaut ist? Was ist so schlimm an einer kleinen Unwucht im Hirn? Fragen Sie sich jeden Tag: Wie will ich leben? Warum lebe ich anders, als ich leben will? Was ist das Außergewöhnliche an mir? Wer kann mein Vorbild sein, wenn es ringsum kein geeignetes gibt? Können Bücher, können Filme zu mir sprechen, und zwar so, dass nur ich es verstehe? Gibt es Menschen auf der Welt, die ich bewundere, denen ich nacheifern kann?
    Machen Sie es anders, anders als bisher, anders als die
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