Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verrückt bleiben

Verrückt bleiben

Titel: Verrückt bleiben
Autoren: Else Buschheuer
Vom Netzwerk:
Sich trauen, Sie selbst zu sein. Sie sind sich nicht sicher, welchen Wein man bestellt? Nicht mit gesenktem Blick vor der Weinkarte sitzen. Lieber fragen: »Was für Wein trinkt man noch gleich zum Schwein?«
    Denken Sie an Julia Roberts in »Pretty Woman«. Erinnern Sie sich an die Szene? Sie sitzt vollkommen deplatziert in dem feinen Restaurant und stochert an einer Weinbergschnecke herum. Die Schnecke fliegt vom Teller, und der Kellner fängt sie im Flug auf. »Slippery little suckers«, flucht Roberts, schlüpfrige kleine Scheißerchen! Der Kellner lächelt. Er hat einen stumpfen Job, und er weiß es, aber jetzt erlebt er einen magischen Moment der Menschlichkeit. »Das passiert dauernd«, sagt er. So muss das gehen.

4. Just say No! – Der Bartleby in uns
    Henry: »Willst’n Würstchen?«
    Martin: »Kann so früh nix essen.«
    Henry: »Soll ich dir ’ne Milch raufholen?
    Martin: »Viel zu gesund.«
    Henry: »Nun steh doch endlich auf!«
    Martin: »Wozu denn?«
    Henry: »Du musst mir die Haare schneiden.«
    Martin: »Morgen.«
    Henry: »Ich hab’n wichtigen Termin.«
    Martin: »Terminhetze, was?«
    »Zur Sache, Schätzchen«

Warum sollen wir Abitur machen, studieren, promovieren, ansparen, heiraten, zweimal im Jahr in den Urlaub fliegen, Kinder kriegen, den Kindern auch nichts Neues sagen können, alles genauso machen wie die anderen? Ist das vernünftig? Wer will Vernunft definieren? Die Vernünftigen? Wer ist das: die Eltern, die Lehrer, die Kirche, der Staat? Das Erwachsenwerden scheint untrennbar verbunden mit dem Vernünftigwerden, immerhin ist der Mensch ein sogenanntes vernunftbegabtes Tier. Aber ist ein Tier nicht auch wild und unberechenbar? Wo endet Vernunft, wo fängt sie an? Gibt der Klügere wirklich nach? Ist, wer nachgibt, im Umkehrschluss gleichsam der Klügere? Oder begründet dieser Mistspruch, wie Marie von Ebner-Eschenbach vermutet, die Weltherrschaft der Dummheit?
    Das Lieblingsmärchen meiner Kindheit war »Schnurzel das Neinchen« von Friedrich Wolf. Es handelte von einer Hasenfamilie namens Dreibein. Der Vater hieß Paolo Dreibein, die Mutter Purzel. Der Sohn des Hauses war ein geborener Trotzkopf. Er sagte immer: »Mir ist alles schnurzwurzpiepe.« Deswegen wurde er Schnurzel genannt. Wann immer er etwas tun sollte, sagte er einfach nein, also bekam er den Beinamen »das Neinchen«. Schnurzel das Neinchen wurde oft bestraft, aber wenn er dann gefragt wurde: »Wirst du in Zukunft gehorchen?«, dann sagte er: »Nein!« Die Mutter lernt, mit ihrem Kind umzugehen, indem sie immer das Gegenteil von dem fordert, was sie eigentlich will. Sie überlistet – dahin der Widerstand.
    In jedem von uns steckt ein Verweigerer. Wir haben Angst vor diesem und jenem, wir haben keine Lust, Hemmungen,Vorbehalte. Was also tun? Wir haben das klare Nein verlernt, wir suchen Ausflüchte und Ausreden, wir deckeln und schwindeln, wir lavieren, täuschen Unpässlichkeiten vor, besorgen uns Atteste oder haben keine Zeit, wir sind 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche in windige Vermeidungsstrategien verstrickt, dabei ist es so leicht: JUST! SAY! NO!
    In Quentin Tarantinos Film »Inglourious Bastards« gibt es einen deutschen Soldaten, der sich, als er von der amerikanischen Nazi-Jäger-Einheit gefangen genommen wird, nicht ergibt. Er wird aufgefordert, seine Einheit und die Lagepläne zu verraten, antwortet aber mit den Worten: »Ich weigere mich ergebenst« und zieht den Tod durch den Baseballschläger des »Bären-Juden« vor. Tarantino zeigt hier Tapferkeit, über die er sich nicht lustig macht. In der Verweigerung des Soldaten liegt Würde, obwohl er zu den Bösen gehört, obwohl er gleich erschlagen wird wie ein Hund.
    Herman Melvilles erste Novelle handelt von einem Mann namens Bartleby. Dieser Bartleby, ein Angestellter an der Wall Street, der Abschriften anfertigt, ein sogenannter Schreiber, ist so etwas wie der geistige Vater des Wehrdienstverweigerers, des Nichtwählers, des Nicht-Arbeit-suchenden-Arbeitsuchenden. Er hat seine persönliche Antwort auf alles gefunden. »Ich möchte lieber nicht«, sagt er. »I would prefer not to.«
    Auf eine faszinierende Art und Weise scheint Bartleby mit sich im Reinen zu sein. Er ist nicht mehr und nicht weniger als ein nutzloser Knecht. Und doch trägt er einen Sieg davon, auch wenn es ein einsamer Sieg ist. Sein Widerstand ist der eines mit Moos bewachsenen Steins. Vielleicht hat er herausgefunden, dass alles keinen Sinn hat, wir erfahren es nicht. Bartleby
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher