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Verrat in Paris

Verrat in Paris

Titel: Verrat in Paris
Autoren: Tess Gerritsen
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Gesichter erkennen konnten.
    »Sie waren auch in der Branche«, sagte sie und ging über die grasbewachsene Lichtung. »Oder wussten Sie das schon?«
    »Ja. Ich … habe von Ihren Eltern gehört.«
    Sie registrierte auf einmal einen vorsichtigen Unterton in seiner Stimme und fragte sich, was der Grund dafür sei. Sie sah ihn bei der Steinbank stehen, die Hände in die Taschen gesteckt.
All diese Familiengeheimnisse. Es macht mich krank. Warum kann nie mal einer die Wahrheit sagen?
    »Was haben Sie von ihnen gehört?« fragte sie.
    »Ich weiß, dass sie in Paris starben.«
    »Bei der Erfüllung ihrer Pflicht. Onkel Hugh sagt, es war eine klassische Mission und weigert sich, darüber zu sprechen. Also sprechen wir nie darüber.« Sie blieb stehen und sah ihn an. »In letzter Zeit muss ich oft an sie denken.«
    »Warum?«
    »Weil es am 15. Juli geschah. Morgen ist es zwanzig Jahre her.«
    Er bewegte sich auf sie zu, sein Gesicht im Dunkeln unsichtbar.
    »Bei wem sind Sie dann aufgewachsen? Bei Ihrem Onkel?«
    Sie lächelte. »›Aufgewachsen‹ ist etwas übertrieben. Onkel Hugh gab uns ein Zuhause und überließ uns dann so ziemlich uns selbst, wenn wir nicht gerade im Internat waren. Jordan hat es ganz gut hingekriegt, glaube ich. Er hat studiert und so. Aber Jordie ist auch der Schlaumeier in unserer Familie.«
    Richard kam noch näher – so nah, dass sie dachte, sie könnte seine Augen im Dunkeln schimmern sehen. »Und was für eine sind Sie?«
    »Ich schätze … Ich schätze, ich bin die Wilde.«
    »Die Wilde«, murmelte er. »Ja, das kann ich bestätigen.«
    Er berührte ihr Gesicht. Die kurze Berührung verursachte ihr ein angenehmes Kribbeln. Plötzlich hörte sie ihr Herz laut klopfen, ihren schnellen Atem. Warum lasse ich das zu? fragte sie sich. Ich dachte, das hätte ich hinter mir. Und jetzt verleitet mich dieser Mann, den ich kaum kenne, dazu, wieder mitzuspielen – obwohl ich in diesem Spiel bekanntlich immer kläglich versage. So dumm, so impulsiv. Das ist doch Wahnsinn.
    Und ich bekomme Lust auf mehr …
    Seine Lippen berührten ihre; es war ein wunderbar sanfter Kuss, der nach Champagner schmeckte. Sie verlangte noch einen Kuss, einen längeren Kuss. Einen Moment lang sahen sie sich an, kurz davor, der Versuchung zu erliegen.
    Beryl gab ihr zuerst nach. Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Er nahm sie in die Arme, hielt sie fest. Gierig suchte sie seine Lippen und küsste ihn.
    »Die Wilde«, flüsterte er. »Ja, ganz eindeutig.«
    »Und fordernde …«
    »Das glaub ich gerne.«
    »… und
sehr
schwierige.«
    »Davon wüsste ich was …«
    Sie küssten sich wieder, und sein heftiger Atem verriet ihr, dass auch ihn die Leidenschaft überwältigt hatte. Plötzlich kam ihr ein teuflischer Einfall.
    Sie machte sich los. Kokett fragte sie: »Und, sagen Sie’s mir jetzt?«
    »Was?« fragte er völlig verwirrt.
    »Für wen Sie wirklich arbeiten?«
    Er schwieg einen Moment. »Sakaroff und Wolf, Inc.«, sagte er. »Sicherheitsberatung.«
    »Falsche Antwort«, teilte sie ihm mit. Dann lachte sie, drehte sich um und verließ den Irrgarten. Er sah ihr nach, wie sie in der Dunkelheit verschwand.
    Paris
    Um 20.45 Uhr trug Marie St. Pierre wie üblich ihre Gesichtscreme aus Bienenpollen auf, fuhr sich mit der Bürste durch ihre widerspenstigen grauen Haare und schlüpfte dann ins Bett. Sie schnappte sich die Fernbedienung und schaltete ihre Lieblingssendung ein – »Denver Clan«. Obwohl die Sendung offensichtlich synchronisiert war und alles übertrieben amerikanisch aussah, gingen ihr die Episoden nah. Liebe und Macht. Schmerz und Vergeltung. Ja, Marie kannte sich mit Liebe und Schmerz aus. Nur mit der Vergeltung haperte es noch. Jedes Mal, wenn die Wut wieder in ihr hochkochte und sie ihre alten Rachefantasien durchzuspielen begann, musste sie nur an die Konsequenzen denken, und schon waren alle Rachegedanken dahin. Nein, sie liebte Philippe zu sehr. Sie hatten gemeinsam so vieles erreicht! Und vom Finanzminister zum Premier war es nur ein kleiner Schritt …
    Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Fernseher, als in den Nachrichten vom Wirtschaftsgipfel in London berichtet wurde. Ob man Philippe sehen würde? Nein, man sah nur eine Aufnahme des Konferenztischs, fünf Sekunden, zwei Dutzend Männer in Anzug und Krawatte. Kein Philippe zu erkennen. Enttäuscht lehnte sie sich zurück und fragte sich zum hundertsten Mal, ob sie ihren Mann nach London hätte begleiten sollen. Aber sie hasste Fliegen, und er
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