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Vermählt mit einem Fremden

Vermählt mit einem Fremden

Titel: Vermählt mit einem Fremden
Autoren: ANNE O'BRIEN
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gerade Mode war, und kutschierte wahrscheinlich wie der Teufel. Vor ihren Augen erstand das Bild, wie er einen Phaeton mit einem feurigen Paar edler Rösser davor mühelos beherrschte. Er mochte reich sein, träge war er nicht, wie sie es von den Kumpanen ihres Bruders kannte, deren einzige Betätigung, von der Jagd abgesehen, reichliches Essen und Trinken war.
    Langsam ließ sie ihren Blick über die feste Haut seiner Brust mit dem Flaum dunklen Haares gleiten, über die schlanke Taille, die schmalen Hüften und die kraftvollen, muskulösen Schenkel. Angesichts seiner beachtlichen Männlichkeit stieg ihr die Röte in die Wangen, und der Mund wurde ihr trocken. Ihre Reaktion auf diesen Mann, den sie doch verachten sollte, entsetzte sie.
    Mit einem gemurmelten Kommentar, was – und was nicht – zu sehen sich für wohlerzogene junge Damen schickte, entzog George ihr den anstößigen Anblick, indem er ein Leintuch über den immer noch Bewusstlosen breitete.
    Doch Harriette stand und starrte immer noch, wie von einer unwiderstehlichen Macht gebannt. Das hier wäre der Mann ihrer Träume, wenn sie sich das Aussehen ihres zukünftigen Gemahls je ausmalen sollte. Und da war er nun, ihr ausgeliefert. Leider nicht Herr seiner Sinne. Was vielleicht besser ist, entschied sie, blinzelte kurz und brachte ihre irrenden Gedanken wieder auf Kurs, da Wiggins gerade mit den benötigten Utensilien hereinkam. Schließlich war ihr Seemannsanzug mit den Stiefeln und Hosen nicht gerade das passende Gewand, um sich einen reichen, gut aussehenden Gatten zu angeln. Oder überhaupt einen Gatten. Bisher hatte sie sich in ihren dreiundzwanzig Lebensjahren auf dem Gebiet als vollkommen erfolglos erwiesen. Ah, nicht, dass sie diesen hier gewollt hätte, mit seiner zweifelhaften Moral bezüglich seines Vaterlandes!
    Sie überließ es George, den geschundenen, zerschlagenen Körper des Mannes zu waschen, während sie selbst sich um seine Verletzungen kümmerte. Bei näherer Betrachtung stellten sie sich als weniger schlimm heraus, als man auf den ersten Blick vermuten musste, denn sie bluteten kaum noch. Die Platzwunde am Kopf rührte wohl von einem heftigen Schlag her, dem Harriette auch die Verwirrtheit und streckenweise Ohnmacht des Mannes zuschrieb, schien aber nicht so gefährlich zu sein, dass man bleibenden Schaden fürchten müsste. Über eine Schulter zog sich ein hässlicher Bluterguss, wie von einem Knüppelschlag hervorgerufen, und der Schnitt auf der Wange, der nur oberflächlich war und gut heilen würde, schien von einem schmalen Dolch zu stammen. Die größte Sorge bereitete ihr die Schusswunde im linken Oberarm, die jedoch nur verbunden werden musste, da das Fleisch glatt durchschlagen worden war.
    Mit Wasser, weichem Tuch und Leinenstreifen machte Harriette sich behutsam an die Arbeit, säuberte und verband die Verletzungen und gab sich erst zufrieden, als sie alles in ihren Kräften Stehende getan hatte. Vorsichtig, um ihn nicht zu stören, hockt sie sich auf die Bettkante und betrachtete den Mann. Er sah wirklich gut aus, mit männlich schönen Zügen, die eine Frau zum Träumen bringen konnten. Markant geschnitten, mit hohen Wangenknochen, gerader Nase und ebenmäßigen Brauen. Sein Mund war schön geschwungen, aber fest. Harriette stellte sich vor, wie er sich zu einem Lächeln bog oder im Zorn anspannte. Sanft zeichnete sie mit einer Fingerspitze die Konturen nach. Seine Lippen waren kühl, wie leblos.
    Wie es wohl wäre, ihren Mund darauf zu drücken, sie zum Leben zu erwecken, zu spüren, wie sie sich erwärmten. Sie konnte es sich nicht vorstellen.
    Sie war noch nie geküsst worden.
    Erschrocken zog sie ihre Hand fort, als seine Lider plötzlich zuckten, so als spürte er, dass sie ihn ansah; dann öffneten sie sich einen Spalt, doch sein Blick blieb verschwommen. Undeutlich murmelte er: „Wo ist sie? … Sie haben versprochen … hatten abgemacht …“
    Harriette beugte sich vor, um besser verstehen zu können. Weich strich sie über seine Stirn, seine Wange.
    „Sie müssen sie gehen lassen … mit mir …“
    Also schien er jemanden zu suchen, ein weibliches Wesen. Harriette, jäh von scharfem Bedauern erfasst, wagte eine neuerliche Liebkosung. Jene Frau war ihm also wichtig, er ängstigte sich um sie. Wie würde sie sich fühlen, wenn sie die Frau wäre, um die er sich derart sorgte? Ihr wurden die Wangen heiß, und ihr Herzschlag stockte kurz. Wie es wohl wäre, von einem so begehrenswerten Mann derart hoch
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