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Vermählt mit einem Fremden

Vermählt mit einem Fremden

Titel: Vermählt mit einem Fremden
Autoren: ANNE O'BRIEN
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und ihn hat’s am schlimmsten erwischt.“ Verächtlich zuckte Monsieur Marcel die Achseln. „Engländer – und noch lebt er. Mehr weiß ich auch nicht. Leere Taschen, wurde wohl ausgeraubt.“ Während er zurück in sein Boot kletterte, fügte er hinzu: „Eins weiß ich noch, der hat sich mit einer miesen Bande eingelassen, die von einem Widerling namens Jean-Jacques Noir angeführt wird. Der Kerl würde seine eigene Schwester verkaufen – ha, seine Mutter, wenn er nur genug dafür bekäme! Und das Messer sitzt ihm verdammt locker.“
    Der Kapitän starrte auf den leblosen Körper zu seinen Füßen. „Was soll ich mit ihm?“
    „Bringen Sie ihn zurück nach England. Oder werfen Sie ihn meinetwegen über Bord. Wenn er sich mit Noir abgibt, hatte er bestimmt nichts Gutes im Sinn. Höchstwahrscheinlich ist er ein Spion, der gegen gutes Gold Informationen verkauft. Anscheinend erfüllte er Noirs Erwartungen nicht, und sie haben gestritten …“ Marcel winkte flüchtig und legte sich in die Riemen.
    „Die Flut kommt, Captain!“, rief George Gadie warnend vom Bug des Kutters.
    „Stimmt!“ Ein Blick auf die anrollenden Wogen, dann entschied der Kapitän: „Nehmen wir ihn mit.“ Er warf die schwere Börse in Monsieur Marcels Boot, grüßte noch einmal und nahm dann wieder das Steuerrad. Bemerkenswert geschwind setzten seine Leute die Segel. Im Licht der Mondstrahlen sah man ein Lächeln um den Mund des Kapitäns spielen, während er den Kutter in die offene See hinaus manövrierte.
    Erst als sie eine Weile unterwegs waren, entfernt vom unsicheren Ufer, winkte der Kapitän seinem Bootsmann, der den leblosen Körper unsanft an der Schulter fasste und umdrehte.
    „Was haben wir da, George? Ist bestimmt nicht lohnenswert, was?“ Doch dann verstummte er. Zwar war das Jackett des Mannes von Blut und Salzwasser verdorben, doch sein ausgezeichneter Schnitt zeugte davon, dass er nicht unvermögend sein konnte. Der Kapitän beugte sich hinunter und riss die Aufschläge über der Brust auf; zum Vorschein kam ein ebenfalls blutgetränktes Hemd, das aber von feinstem, ehemals schneeweißem Leinen war. Spionage schien also zwar gefährlich, doch durchaus lukrativ zu sein. Ein wenig mitleidig betrachtete er das unglückliche Opfer, an dessen Schläfe sich eine blutige Platzwunde zeigte. Blut verklebte auch das dunkle Haar des Fremden. Der Mann war nass bis auf die Haut, sein Gesicht totenbleich, die schön geschnittenen Lippen farblos und vor Schmerz verzerrt. Auf der Wange prangte eine Messerwunde, nur oberflächlich, doch ebenfalls noch blutend.
    Der Kapitän tastete nach dem Herz des Bewusstlosen. Es schlug regelmäßig, doch sehr langsam.
    George knurrte: „Was meinen Sie, Captain? Ein Spion? Sieht jetzt ganz harmlos aus, was? Der Schnitt hat ihm sein hübsches Gesicht ganz schön versaut. Schaffen wir ihn aus dem Weg! Gabriel …!“ Er rief nach seinem Sohn, und gemeinsam hoben sie den leblosen Körper in die Höhe, bis er fast auf der Reling ruhte.
    „Wartet!“, rief der Kapitän und beugte sich erneut über den Fremden, der in diesem Augenblick ein dumpfes Stöhnen von sich gab und die schweren Lider mühsam aufschlug. „Wo bin ich?“, flüsterte er heiser, sichtlich verwirrt.
    „Auf dem Weg nach England“, entgegnete Captain Harry.
    „Nein … Ich kann nicht weg … noch nicht …“
    Schwerfällig hob der Mann eine Hand und krallte sie in den Ärmel des Kapitäns, wobei er ihn mit schmerzgetrübtem Blick flehend ansah. „Bringen Sie mich zurück. Ich zahle …“
    „Womit? Ihre Taschen sind leer, mein Freund.“
    „Wie? Kann mich nicht erinnern …“ Verständnislos starrte er zum Kapitän auf, ihm sanken die Lider zu, doch mit großer Anstrengung riss er sie wieder auf. „Noir … hat sein Wort gebrochen …“
    „Wie zu erwarten. Und Sie wurden ausgeraubt, scheint mir“, sagte der Kapitän. Angewidert verzog er den Mund. Was dieser Noir darstellte, ekelte ihn an. Freihandel war eine Sache. Schließlich betrieb und befürwortete er selbst dieses Geschäft. An der Küste von Suffolk war Captain Harry allseits wohlbekannt. Und er schämte sich der Schmuggelei nicht. Aber für den Feind zu spionieren war etwas völlig anderes. Die Gentlemen vom Freihandel hatten ihren eigenen Ehrenkodex und lebten danach, hielten es jedoch für verachtenswert, dem Feind geheime Informationen zu verschaffen. „Es gab wohl eine deftige Prügelei – Sie haben sich mit Ihrem französischen Verbindungsmann nicht einigen
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