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Vermählt mit einem Fremden

Vermählt mit einem Fremden

Titel: Vermählt mit einem Fremden
Autoren: ANNE O'BRIEN
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können?“
    „Was?“ Vage versuchte der Fremde, sich auf sein Gegenüber zu konzentrieren. Er runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht …“
    „Was bringt denn einen Mann dazu, gegen sein eigenes Land zu intrigieren?“, sagte der Kapitän mit einem Zynismus, der im Widerspruch zu seinen jugendlichen Zügen stand. „Vermutlich doch die einträgliche Belohnung. Und manchmal geht es eben schief. Was immer Sie Monsieur Noir verkauften, er hat Sie nicht dafür bezahlt. Sie haben sich umsonst bemüht.“
    „Ich bin kein Spion …“, murmelte der Mann kaum verständlich, „… kein Verräter.“ Im gleichen Moment ließ eine Welle den Kutter heftig schwanken, sodass der Kopf des Fremden gegen die hölzerne Reling schlug und er abermals in Ohnmacht sank.
    Mit einem verächtlichen Auflachen murrte der Kapitän: „Das sagen sie alle, wenn sie erwischt werden. Und wie kann er wissen, ob er ein Spion ist, wenn ihm die Erinnerung fehlt?“
    „Sollen wir ihn den Behörden übergeben?“, fragte George Gadie.
    „Mal sehen.“ In den Augen des Kapitäns, der den Leblosen düster betrachtet hatte, blitzte Mutwille auf. „Ein Geschenk für die Zollfahnder als Ausgleich dafür, dass sie uns nie mit unseren feinen Waren erwischen? Geschähe dem Burschen recht. Aber ich weiß nicht … Warten wir, was er zu sagen hat, wenn er zu sich kommt.“
    „Wir könnten ihn immer noch über Bord werfen, Captain Harry. Würd’ uns ’ne Menge Ärger ersparen.“
    „Nein, sein Blut soll nicht an meinen Hände kleben, gleich, was er auf dem Gewissen hat. Los, sehen wir zu, dass wir die Fracht sicher heimbringen.“
    Als das Schiff einen Wellenkamm erklomm, sich aufbäumte und vorwärtsschoss, reckte Captain Harry sich dem Wind entgegen und zog seine wollene Mütze vom Kopf – die eine wilde Mähne dunklen Haares freigab. Es umwogte ein klassisch ovales Gesicht, das von funkelnden Augen beherrscht wurde, jetzt bleigrau wie das Meer selbst, manchmal aber kühl wie der silberne Spiegel eines lieblichen Sees. Kein Zweifel war möglich – trotz der Seemannskleidung war Captain Harry, oder eigentlich Miss Harriette Lydyard, eine sehr attraktive und sehr feminine Frau.
    Ehe sie sich endgültig dem Steuerrad widmete, das vorübergehend von George gehalten wurde, wandte sie sich noch einmal der stillen Gestalt zu ihren Füßen zu und betrachtete sie gründlich. Der Mann war schön, wie George so spöttisch angemerkt hatte. Nass und von Blut verklebt, wie sein Haar war, gab es seine Farbe nicht preis. Blond war es jedenfalls nicht. Auch die Augen des Mannes, verdunkelt von Schmerz, hatte sie nicht deutlich sehen können. Noch einmal bückte sie sich und hob seine schlaffe linke Hand an. Von Schmutz verschmiert, doch fein geformt, mit gepflegten Nägeln. Sacht fuhr sie über seine Fingerkuppen. Keine Schwielen, also offensichtlich nicht mit schwerer Arbeit befasst. Ganz klar ein wohlhabender Mann, wie auch seine Kleidung bewies, die mit Sicherheit von einem Londoner Schneider stammte. Obwohl Harriet nicht viel davon verstand, so erkannte sie doch, dass diese Eleganz nicht einem Laden in Lewes oder Brighton entstammte.
    Obwohl ihr Rechtsempfinden ihn wegen seiner Verräterei verdammte, legte sie seine Hand durchaus sanft wieder zurück. Manch einer hielt die Schmuggelei für eine unehrenhafte Beschäftigung, die Geld in die Taschen des Feindes schaffte, doch verglichen mit Spionage – nein, das konnte man nicht vergleichen, oder?
    Die Züge des Fremden waren wirklich auffallend schön. Harriette konnte nicht widerstehen; mit zwei Fingern folgte sie der Kontur seiner Wange, seines Kinns, und plötzlich begann ihr Herz laut zu pochen. Ganz zweifellos musste dieses Gesicht den Blick jeder Frau anziehen. Sie spürte, wie ein Schauer sie überlief, so bewusst war sie sich der Nähe dieses Mannes, dessen Leben in ihrer Hand lag. Wenn die Dinge anders lägen …
    Fatalistisch zuckte sie die Achseln. Sie konnte nichts für den Mann tun. Allerdings löste sie, praktisch veranlagt, wie sie war, seine zerdrückte, einst so perfekt gestärkte und gelegte Krawatte, faltete sie mehrfach und stopfte sie unter seinem Jackett auf die Verletzung, um die Blutung zu stoppen. Wenn es ihm bestimmt war zu überleben, würde das dazu beitragen.
    Unwillkürlich musterte sie erneut das Gesicht des Mannes, die gerade Nase, die hohen Wangenknochen, bis der Mond hinter eine Wolke schlüpfte und ihr die Sicht nahm. Mit einem abfälligen Schnauben erhob sie sich. Eine
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