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Vermählt mit einem Fremden

Vermählt mit einem Fremden

Titel: Vermählt mit einem Fremden
Autoren: ANNE O'BRIEN
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hierher gehörte. Mochte das Haus auch meistens leer und verschlossen sein, so war es ihr doch, als umfingen die schützenden Wände sie warm wie die Umarmung eines Liebsten. Sie atmete leichter, und ihr Herzschlag beruhigte sich. In diesem weitläufigen uralten Gebäude fühlte sie sich sicher. Sie hatte es von ihrer Tante Dorcas geerbt, denn der Besitz ging seit Generationen stets an die weibliche Linie der Lydyards.
    Am liebsten hätte sie hier gelebt, doch Wallace verbot es ihr und wies immer wieder streng darauf hin, dass sie angesichts ihres jugendlichen Alters und unverheiratet, wie sie war, nicht ohne eine Anstandsdame hier leben könne, ohne gegen die guten Sitten zu verstoßen. Er bestand darauf, dass sie bei ihm in Whitescar Hall blieb. Wie sie überhaupt erwägen könne, in diesen riesigen Bau ziehen zu wollen, der seit Jahrzehnten im Verfall begriffen war, sei ihm unbegreiflich.
    Da sie nicht die finanzielle Unabhängigkeit besaß, sich dem Willen ihres Halbbruders zu widersetzen, wurde also ihr Haus verrammelt und setzte Staub an. Nur ein ältliches Faktotum und zwei Mädchen aus dem Dorf hüteten es noch. Es wurde nur noch dazu benutzt, den Freihändlern aus dem Turmzimmer in luftiger Höhe Lichtsignale zu senden.
    Doch dies war nicht der richtige Moment für Selbstmitleid. Harriette wandte ihre Gedanken ihrem unerwarteten Gast zu, der gerade auf dem Bett abgelegt wurde.
    „Gabriel, zünde das Feuer an, und dann schick mir Wiggins herauf, mit heißem Wasser und Tüchern, außerdem Leinenstreifen zum Verbinden. Und eine Flasche Brandy. Und hör, kein Wort zu Außenstehenden!“ Sie trat an das Bett und versuchte, dem Mann die Jacke von der verletzten Schulter zu schieben. „Schauen wir, dass wir ihn aus den nassen Sachen herausbekommen.“
    „Das mach ich, Captain. Schickt sich nicht für Sie, Miss Harriette“, mahnte George.
    Trotz ihrer Ungeduld musste sie lächeln, weil George sie trotz ihrer Schmugglerkluft plötzlich wieder als Herrin des Hauses wahrnahm. „Schickt sich nicht? Wenn wir nichts unternehmen, wird er ganz bestimmt sterben.“
    „Es gehört sich nicht, dass Sie einen Mann bis auf die Haut ausziehen, Miss Harriette!“
    „Ich weiß, wie ein Mann aussieht.“ Sie mühte sich immer noch an dem Jackett ab, wobei ihr abermals das feine Tuch und der hervorragende Schnitt auffielen. „ Deine dürren Stelzen habe ich oft genug gesehen, wenn du dich am Strand ausgezogen hast, weil du pitschnass geworden warst.“
    Was Gabriel, der gerade aus dem Zimmer ging, grunzend auflachen ließ.
    „Mag sein, aber das ist was anderes“, sagte George störrisch. „Dieser Bursche hier ist jung und ansehnlich!“ Trotzdem begann er, dem Mann die Stiefel auszuziehen. „Machen Sie mir nur keine Vorwürfe, wenn Ihr Bruder davon hört und Sie zur Rechenschaft zieht.“
    „Keine Sorge, und mit ein bisschen Glück erfährt er sowieso nichts davon.“
    Während George mit den Stiefeln kämpfte, gelang es Harriette, das eng sitzende Jackett zu entfernen, allerdings nur, indem sie ein Messer zu Hilfe nahm und die Nähte auftrennte; der feine Stoff des Hemdes hingegen riss ganz leicht. Die einstmals elegante Batistkrawatte lag noch immer als Druckverband auf der Wunde. Angesichts der teuren Kleidung dachte Harriette, dass Verrat wirklich ein einträgliches Geschäft zu sein schien. Verächtlich verzog sie den Mund.
    „Miss Harriette, Sie gehen jetzt besser raus.“
    „Himmel, George, mach einfach!“
    Unter missbilligendem „Tststs“ zog George dem Fremden Hosen und Unterwäsche aus.
    Nun ja! Harriette war durchaus mit männlicher Nacktheit vertraut. Wenn an Bord des Kutters die Männer bei der schweren Arbeit ihre Jacken und Hemden abwarfen und ihre Hosenbeine hochkrempelten, hatte sie ohne Verlegenheit zugesehen, wie sich kräftige Muskeln und straffe Sehnen unter glatter Haut spannten. Schließlich war es ihre Mannschaft, da irritierte es Harriette nicht. Ein Mann war ein Geschöpf aus Fleisch und Knochen und Muskeln und für seine Aufgabe, den Elementen zu trotzen, entsprechend ausgestattet.
    Noch nie jedoch hatte sie einen Mann so gesehen – völlig nackt. Einen Augenblick verhielt sie, in tiefer Bewunderung befangen.
    Seine Haut war glatt, nicht von Wind und Sonne gegerbt, sein Körper prachtvoll, schlank und langbeinig, mit breiten Schultern, kraftvollen Arme und ausgeprägter Muskulatur. Vermutlich trieb er irgendeinen Sport, focht vielleicht oder boxte gar, wie es bei den vornehmen Herren
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