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Vermählt mit einem Fremden

Vermählt mit einem Fremden

Titel: Vermählt mit einem Fremden
Autoren: ANNE O'BRIEN
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breit und untersetzt, mit ehrlichem, geradlinigem Blick, setzte ihre Last auf dem Bett ab. Schon länger, als sie denken konnte, war sie Miss Harriettes Hüterin und Dienerin und somit an deren exzentrische Anwandlungen gewöhnt, wenn sie sie auch nicht unbedingt billigte. Doch sie nahm kein Blatt vor den Mund. „Was haben Sie nun wieder angestellt, Miss? Mr. Alexander wollt’ es nicht sagen.“
    Harriette wusste, dass sie ihr vollkommen vertrauen konnte. Sie sagte: „Ich glaube, ich habe einem Spion das Leben gerettet.“
    „Nein, ein Spion? Meinen Sie, das wär’ richtig?“ Meggie klang keineswegs empört.
    „Nein, aber ich konnte ihn doch nicht einfach sterben lassen. Übrigens sind seine Kleider völlig verdorben.“ Von einem grell leuchtenden Farbklecks angezogen, ging sie zum Bett und zog aus dem einen der Körbe eine schreiend rot und golden gemusterte Hausjacke mit schwerer Goldschnürung heraus, auf der gewaltige chinesische Drachen eingewebt waren.
    Trocken erklärte Meggie: „Um das hier freiwillig zu tragen, muss er schon an der Schwelle zum Tode sein!“
    Harriette schmunzelte. „Sir Wallace hält sich für den Inbegriff eines Dandys.“ Sie warf sich die Jacke um und stolzierte mit bemerkenswert an ihren bombastischen Halbbruder erinnernder Haltung durchs Zimmer. „Was den Bewohner meines einzigen möblierten Gästezimmers angeht, so bleibt ihm keine Wahl, so geschmacklos dieses Teil auch sein mag.“ Aufschauend fragte sie: „Was hat mein Bruder gesagt? Oder konntest du ihm die Nachricht vorenthalten?“
    „Es war eher Ihre Ladyschaft, die sich aufregte. Sir Wallace ist geschäftlich in Lewes. Wie Sie sich wohl denken können, war Lady Augusta nicht eben erfreut.“
    Bei dem Gedanken an Lady Augustas permanent mürrisch verzogenen Mund zog Harriette eine Grimasse, obwohl sie sich mit der Missbilligung ihrer Schwägerin längst abgefunden hatte. „Ich hatte gehofft, Alex wäre ein wenig diskreter. Lady Augusta weiß also von dem heutigen Törn?“
    „Natürlich, man kann’s wohl kaum geheim halten, wenn sämtliche Männer in Old Wincomlee wissen, wer Captain Harry ist. Aber zumindest sind sie klug und treu genug, vor den Zolloffizieren schön den Mund zu halten. Und trotz seines Amtes als Friedensrichter wird Sir Wallace denen auch nichts sagen. Der weiß, woher sein guter Cognac stammt. Aber sobald er zurück ist, wird er hier auftauchen, um zu sehen, was Sie wieder im Schilde führen! Und warum Sie noch nicht wieder in Whitescar Hall sind und im feinen Kleid die Dame mit Geschmack und Eleganz spielen!“
    „Weil ich dann vor Langeweile sterben würde. Hoffen wir nur, dass Wallace über Nacht fortbleibt, damit ich hier noch eine Zeit lang ungestört bin.“ Mutwillig lächelnd fügte sie hinzu: „Ah, am besten schicke ich eine Nachricht, dass ich mich erkältet habe – nein, besser noch, ich habe mich an der französischen Küste mit einem Fieber angesteckt. Wallace hat eine wahnsinnige Angst vor Krankheiten; das wird ihn fernhalten.“ Sie fuhr sich mit den Fingern durch das zerzauste Haar. „Vielleicht bringt mir das eine ganze Woche Freiheit ein. Wenn er denkt, dass ich ihm ein grässliches Leiden anhänge – noch dazu eins aus dem Ausland, vom Feind! –, wird er bestimmt nicht nach mir schauen!“
    Meggie schnaufte belustigt, wurde aber gleich wieder ernst. „Miss Harriette, ganz unrecht hat Lady Augusta nicht; Sie sollten längst verheiratet sein. Obwohl ich niemanden wüsste, der Ihrer wert ist.“ Als Harriette gespielt angriffslustig auf sie zumarschierte, wechselte sie schnell das Thema. „Ich hab’ Ihnen Kleidung mitgebracht, damit Sir Wallace, falls er doch kommen sollte, wenigstens an Ihrer Erscheinung nichts auszusetzen findet.“ Grimmig musterte sie die ausgebleichte, fleckige Seemannskluft. „Weiß der Kuckuck, was er sagen würde, wenn er Sie so sähe …“
    Es klopfte leicht an der Tür, und Jenny kam herein. Ohne die unpassende Kleidung ihrer Herrin zu beachten, knickste sie und sagte: „Der Gentleman ist wach, Miss.“
    „Tatsächlich? Er hat eine kräftigere Konstitution, als ich dachte. Ich komme.“
    „Aber nicht so!“ Energisch hielt Meggie sie am Arm zurück. „Was soll er denn denken?“
    „Das ist mir gleich.“ Oder doch nicht? Normalerweise gab sie nichts auf ihr Äußeres, schon gar nicht, wenn es auf einen Törn ging, doch wollte sie wirklich, dass dieser unbekannte Herr sie derart zerzaust und schmutzig sah? Dass er mit entsetzt
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