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Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Titel: Vermächtnis des Schweigens (German Edition)
Autoren: Heather Gudenkauf
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eröffnet, um Frauen nach dem Gefängnis darauf vorzubereiten, sich wieder erfolgreich in die Gesellschaft zu integrieren und ein eigenständiges Leben zu führen.“
    „Wie ist sie gestorben?“, will ich wissen. Wir steigen aus dem Auto aus und gehen zur Vordertür.
    „Trudy hat sich geweigert, wieder bei ihrer Mutter einzuziehen. Stattdessen ist sie bei ihrem Freund eingezogen, durch den sie überhaupt erst drogenabhängig geworden war. Drei Tage nach ihrer Entlassung ist sie an einer Überdosis gestorben. Olene hat sie gefunden.“
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll, also eilen wir schweigend aus dem Regen auf die überdachte Veranda. Devin klopft an die Tür, und eine Frau um die sechzig in einer formlosen Kittelschürze erscheint. Sie ist dünn, hat kurz geschnittenes silberfarbenes Haar und gebräunte, ledrige Haut. Sie sieht aus wie eine Karotte, die man zu lange im Gemüsefach gelagert hat.
    „Devin!“, ruft sie und schließt meine Anwältin in die Arme,wobei die silbernen Armreifen an ihren dünnen Handgelenken klimpern.
    „Hallo, Olene“, sagt Devin lachend. „Es ist immer schön, dich zu sehen.“
    „Du musst Allison sein.“ Olene lässt Devin los und nimmt meine Hand. Ihre Hand ist warm, und die alte Frau hat einen erstaunlich festen Händedruck. „Es ist so schön, dich kennenzulernen“, sagt sie leise, und ihre Stimme klingt rau. Es ist die Stimme einer Raucherin. „Willkommen in Gertrude House.“ Aus ihren grünen Augen schaut sie mich unverwandt an.
    „Es ist auch schön, Sie kennenzulernen“, gebe ich zurück.
    „Oh“, erwidert Olene, „wir duzen uns hier alle. Komm rein, dann erhältst du die große Führung.“ Sie betritt das Foyer. Ich schaue Devin an, in mir regt sich leichte Panik. Devin nickt mir ermutigend zu.
    „Ich muss zurück ins Büro, Allison. Ich rufe dich morgen an, okay?“ Sie sieht die Sorgenfalten in meinem Gesicht und beugt sich vor, um mich zu umarmen. Auch wenn mein Körper steif und angespannt ist, bin ich dankbar für die Berührung. „Bye, Olene, und danke“, sagt Devin. An mich gewandt fügt sie hinzu: „Sei tapfer. Alles wird gut. Ruf mich an, wenn du was brauchst.“
    „Mir geht es gut.“ Ich sage das mehr zu meiner als zu Devins Beruhigung. „Mach dir keine Sorgen.“ Ich sehe ihr hinterher, wie sie schnell die Verandastufen hinunter- und zu ihrem Wagen läuft, zurück in ihr eigenes Leben. Das könnte ich sein, denke ich. Ich könnte einen grauen Hosenanzug anhaben und Klienten in meinem teuren Auto herumfahren. Stattdessen trage ich einen Rucksack, in dem sich alles befindet, was ich besitze, und ziehe in ein Haus mit Leuten, denen ich in meinem anderen Leben keinen zweiten Blick gegönnt hätte. Ich drehe mich wieder zu Olene um. Sie mustert mich eindringlich und hat einen Ausdruck im Gesicht, den ich nicht ganz deuten kann. Mitleid? Traurigkeit? Erinnerungen an ihre Tochter? Ich weiß es nicht.
    Sie räuspert sich und fängt mit der Führung an. „Im Moment haben wir hier zehn Bewohner – beziehungsweise elf, jetzt, wodu da bist. Du teilst dir ein Zimmer mit Bea. Nette Frau. Sie war mal Bibliothekarin.“ Olene nickt in Richtung eines langen, quadratischen Raums zu ihrer Linken. „Das ist unser Raum für Meetings. Hier treffen wir uns jeden Abend um sieben. Das da ist das Esszimmer. Abendessen ist pünktlich um sechs. Um Frühstück und Mittagessen musst du dich selber kümmern. Die Küche ist da gerade durch – ich zeige sie dir am Ende der Tour. Wie so oft ist auch im Gertrude House die Küche das Herz des Ganzen.“
    Olene geht jetzt schneller, und ich muss mich konzentrieren, mit ihr mitzuhalten, anstatt stehen zu bleiben und jeden Raum einzeln auf mich wirken zu lassen. Nach meiner schlichten Gefängniszelle ist Gertrude House wie ein Angriff auf alle Sinne. Es gibt hell gestrichene Wände, Bilder und Fotos, Möbel, und überall steht Krimskrams herum. In einer Ecke des Hauses spielt Musik, und ich denke, ich höre ein Baby weinen. Auf meinen fragenden Blick hin erklärt Olene: „Familienmitglieder dürfen zu Besuch kommen. Das Weinen kommt von Kaseys Baby. Kasey verlässt uns nächste Woche, um zu ihrem Mann und den Kindern zurückzuziehen.“
    „Warum ist sie hier?“, frage ich, während Olene mich zu einem Raum führt, der offensichtlich als Familienzimmer dient.
    „Im Gertrude House konzentrieren wir uns nicht auf unsere Verbrechen. Wir versuchen, unser Augenmerk darauf zu richten, wie wir das Leben jedes Einzelnen hier
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