Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Titel: Vermächtnis des Schweigens (German Edition)
Autoren: Heather Gudenkauf
Vom Netzwerk:
ich Christopher das erste Mal gesehen habe, vorbei an der Straße, an der wir abbiegen würden, wollten wir zu dem Haus fahren, in dem ich aufgewachsen bin. Am Fußballplatz vorbei, auf dem mein Team drei Mal in Folge die Stadtmeisterschaft gewonnen hat. „Halt“, sage ich plötzlich. „Bitte fahr hier mal rechts ran.“ Devin lenkt den Wagen auf das Grundstück des Fußballplatzes und stellt ihn neben einem Spielfeld ab, auf dem eine Gruppe jugendlicher Mädchen einen Fußball herumkickt. Ich steige aus dem Auto und schaue ein paar Minuten von der Seitenlinie aus zu. Die Mädchen sind total in ihr Spiel vertieft. Von der Anstrengung haben sie rote Gesichter, und ihre Haare sind nass geschwitzt.
    „Kann ich mitspielen?“, frage ich schüchtern. Ich klinge überhaupt nicht wie ich. Die Mädchen bemerken mich nicht mal und spielen einfach weiter. „Kann ich mitspielen?“, versuche ich es erneut, dieses Mal lauter, und ein kleines, stämmiges Mädchen, das die braunen Haare mit einem Band zurückhält, bleibt stehen und beäugt mich skeptisch. „Nur eine Minute“, sage ich.
    „Sicher“, erwidert sie und läuft wieder dem Ball hinterher.
    Vorsichtig betrete ich das Spielfeld. Das Gras hat eine tiefe smaragdgrüne Farbe, und ich beuge mich vor, um es zu berühren. Es ist weich und nass von dem kürzlichen Regenschauer. Ich fange an zu laufen. Erst langsam, dann immer schneller. Ich habe versucht,im Gefängnis in Form zu bleiben, bin auf dem eingezäunten Innenhof Runden gelaufen, habe in meiner Zelle Liegestütze und Sit-ups gemacht. Aber das Fußballfeld ist mindestens neunzig Meter lang, und sehr schnell komme ich außer Atem und muss anhalten. Ich beuge mich vor, stütze mich mit den Händen auf den Knien ab. Meine Muskeln schmerzen bereits.
    Die Mädchen kommen in meine Richtung. Ihre Haut ist gebräunt und gesund im Vergleich zu meiner eigenen weißen Haut, die so wenig Sonne abbekommen hat. Jemand passt den Ball zu mir herüber, und alles ist plötzlich wieder da. Das vertraute Gefühl des Balles zwischen meinen Füßen, der Instinkt, zu wissen, wohin ich mich bewegen muss. Ich flitze zwischen den Mädchen hindurch und dribble und passe den Ball über das Spielfeld. Eine Minute lang kann ich vergessen, dass ich ein einundzwanzigjähriger Exhäftling bin, an dem das Leben bereits vorbeigezogen ist. Ein Mädchen schießt den Ball zu mir, und ich spiele mich frei und ziehe davon. In meinen billigen Turnschuhen ohne Stollen rutsche ich, fange mich aber schnell wieder. Die Mittelfeldspielerin nähert sich mir, ich täusche links an, lasse sie hinter mir zurück und schicke einen Querpass zu dem Mädchen mit dem Haarband. Es schießt den Ball über die Schulter der Torhüterin ins Tor, und die Mädchen brechen in lauten Jubel aus. Eine Minute lang kann ich mir vorstellen, wieder dreizehn zu sein und mit meinen Freundinnen zu spielen, und ich lächle und lache und wische mir den Schweiß von der Stirn.
    Dann schaue ich zum Spielfeldrand und sehe Devin, die dort mit einem amüsierten Gesichtsausdruck geduldig auf mich wartet. Ich muss albern aussehen, eine erwachsene Frau in Kakihosen und Poloshirt, die mit einer Gruppe Kinder Fußball spielt.
    „Du bist ein Naturtalent“, sagt Devin, als wir gemeinsam zurück zu ihrem Auto gehen.
    „Ja, was mir im Moment ja auch unglaublich viel nützt“, erwidere ich leicht beschämt. Ich bin froh, dass mein Gesicht bereits von der Anstrengung rot ist.
    „Man kann nie wissen. Komm, wir haben noch ein wenigZeit, bevor sie uns im Gertrude House erwarten. Lass uns was essen gehen.“
    Als Devin vor dem Resozialisierungszentrum vorfährt, in dem ich die nächsten sechs Monate wohnen werde, fängt es wieder an zu regnen. Es ist ein altes Haus im viktorianischen Stil mit abblätternder weißer Farbe, schwarzen Fensterläden und einer umlaufenden Veranda mit weißen Schindeln. „Ich hatte es mir nicht so groß vorgestellt.“ Ich schaue an der Fassade hoch. Es wäre Furcht einflößend, wenn es nicht den schönen Vorgarten hätte.
    „Es hat sechs Zimmer für jeweils zwei bis drei Frauen“, erklärt Devin. „Du wirst Olene mögen. Sie hat das Gertrude House vor ungefähr fünfzehn Jahren gegründet. Ihre Tochter ist gestorben, nachdem sie aus dem Gefängnis entlassen wurde. Olene dachte, wenn Trudy nach ihrer Entlassung einen Ort gehabt hätte, an den sie hätte gehen können, eine dem Gericht unterstellte Einrichtung, würde sie heute noch leben. Also hat sie Gertrude House
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher