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Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Titel: Vermächtnis des Schweigens (German Edition)
Autoren: Heather Gudenkauf
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Liebe als selbstverständlich vorausgesetzt und angenommen, meine Schwester wäre immer auf Abruf da, würde immer zu mir aufsehen. Aber ich scheine für sie nicht mehr zu existieren. Und ich kann ihr daraus noch nicht mal einen Vorwurf machen.
    Einen Brief nach dem anderen habe ich an Brynn geschrieben, aber sie hat mir nie geantwortet. Das war das Schlimmste am Gefängnis. Jetzt, wo ich frei bin, kann ich zu Brynn gehen, dafür sorgen, dass sie mich sieht, dass sie mir zuhört. Das ist alles, was ich will. Zehn Minuten mit ihr, und alles wird wieder gut.
    Als wir ins Auto steigen und von Cravenville wegfahren, scheint mein Magen vor Aufregung und Angst Purzelbäume zu schlagen. Ich sehe, dass Devin zögert. „Vielleicht sollten wir erst mal irgendwo anhalten und etwas essen, bevor ich dich ins Gertrude House bringe. Danach kannst du deine Eltern anrufen“,sagt sie.
    Ich will nicht ins Gertrude House. Da werde ich vermutlich die sein, die wegen des schlimmsten Verbrechens verurteilt worden ist. Sogar eine heroinabhängige Prostituierte, die wegen bewaffneten Raubüberfalls und Mordes verurteilt wurde, würde mehr Mitgefühl ernten als ich. Es ist viel sinnvoller, wenn ich bei meinen Eltern bleibe, in dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin, an das ich wenigstens ein paar gute Erinnerungen habe. Auch wenn dort etwas Fürchterliches passiert ist, sollte ich dort sein – zumindest für den Moment.
    Aber auf Devins Gesicht kann ich ganz klar ablesen, dass meine Eltern mich nicht sehen und nichts mit mir zu tun haben wollen. Sie wollen nicht, dass ich nach Hause komme.

BRYNN
    Ich bekomme Allisons Briefe. Manchmal wünsche ich mir, ihr zurückschreiben zu können, sie zu besuchen, mich ihr gegenüber wie eine Schwester zu benehmen. Aber irgendetwas hält mich immer zurück. Grandma sagt, ich soll mit Allison reden, versuchen, ihr zu vergeben. Aber das kann ich nicht. Es ist, als wenn in jener Nacht vor fünf Jahren etwas in mir zerbrochen ist. Es gab eine Zeit, da hätte ich alles gegeben, um Allison eine echte Schwester zu sein, ihr so nah zu sein wie damals, als wir noch Kinder waren. In meinen Augen hat sie immer alles gekonnt. Ich war so stolz auf sie; nicht eifersüchtig, wie einige Leute dachten. Ich wollte nie Allison sein; ich wollte nur ich selbst sein, was niemand verstehen konnte, vor allem meine Eltern nicht.
    Allison war die erstaunlichste Person, die ich kannte. Sie war klug, sportlich, beliebt und schön. Jeder liebte sie, auch wenn sie gar nicht so nett war. Sie war nie wirklich gemein zu irgendwem, aber sie musste sich nie anstrengen, damit die Leute sie mochten. Sie taten es einfach. Allison bewegte sich so einfach durchs Leben, dass ich nur danebenstehen und zusehen konnte.
    Bevor Allison der Stolz von Linden Falls wurde, bevor meine Eltern all ihre Hoffnungen in sie setzten, bevor sie aufhörte, mir die Hand hinzuhalten, um mir zu versichern, dass alles gut würde, waren Allison und ich unzertrennlich. Wir wuchsen auf wie Zwillinge, auch wenn wir uns überhaupt nicht ähnlich sahen. Allison war – ist – vierzehn Monate älter als ich, groß und hat langes, glattes weißblondes Haar. Sie hat silbrig blaue Augen, die sowohl direkt durch einen hindurchschauen als einem auch das Gefühl geben konnten, der einzige Mensch zu sein, der ihr etwas bedeutete. Das hing ganz von ihrer Stimmung ab. Ich war klein und gewöhnlich, hatte Haare in der Farbe von vertrocknetem Eichenlaub.
    Aber es hat eine Zeit gegeben, in der wir beide das Gleiche gedacht haben. Als Allison fünf und ich vier war, haben wir unsere Eltern angebettelt, uns ein Zimmer teilen zu dürfen, auchwenn unser Haus fünf Schlafzimmer hatte und wir uns jeder eines hätten aussuchen können. Aber wir wollten zusammen sein. Als unsere Mutter schließlich zustimmte, schoben wir unsere zueinanderpassenden Zwillingsbetten zusammen, und unser Vater hängte meterweise pinkfarbenen Stoff darüber, den wir zuziehen konnten. In diesem Zelt verbrachten wir Stunden damit, zusammen zu spielen oder uns gemeinsam Bücher anzusehen.
    Die Freundinnen unserer Mutter bekamen sich wegen unserer engen Beziehung gar nicht mehr ein. „Ich weiß nicht, wie du das machst“, sagten sie zu ihr. „Wie hast du es nur geschafft, dass deine Mädchen sich so gut verstehen?“
    Unsere Mutter lächelte dann immer stolz. „Man muss ihnen nur beibringen, was Respekt bedeutet“, erklärte sie auf ihre leicht hochmütige Art. „Wir erwarten, dass sie einander gut behandeln,
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