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Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)

Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)

Titel: Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
Autoren: Michael Wagner
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wurde gefahren. Von ihrer Kollegin Dr. Beisiegel, einer Bonner Gerichtsmedizinerin. Die hatte darauf bestanden, sie zu fahren. Beinahe jeden Tag hatte Dr. Beisiegel sie dort in der Klinik besucht.
    Vierzehn Tage lang. Nach anfänglichem Zögern hatte sie dem bohrenden und fragenden Blick ihrer Kollegin nachgegeben. Sie hatte ihr erzählt, was in der Nacht in dem Bonner Hotel passiert war. Woran sie sich erinnern konnte. Sie erzählte von dem Traum, den sie gehabt hatte. Dort war ihr eine tote, blinde Gestalt um den Hals gefallen, hatte sie umgerissen. Der Traum hatte sie im Schlaf aufgeschreckt, dann hatte sie halluziniert und die Tote neben sich auf dem Bett sitzen sehen. Die Tote hatte sie ausgelacht. Um wieder zu sich zu kommen, wollte sie duschen. In der Dusche war sie dann schließlich zusammengebrochen. Ihr Herz hatte beschlossen, Schluss zu machen. Sie hatte richtig Glück gehabt. Der Infarkt war nicht stark gewesen. Wäre er stärker gewesen, so hätte sie die Nacht nicht überlebt. Erst vier Stunden nach dem sie in der Dusche zusammenbrach, wurde sie von der Putzfrau gefunden.
    Dr. Beisiegel wäre keine Ermittlerin gewesen, hätte sie sich damit zufriedengegeben.
    „Und wieso haben Sie das Rohypnol genommen?“, hatte sie gefragt. Dr. Pütz hatte versucht, der Antwort auszuweichen, doch hatte das keinen Erfolg gehabt.
    „Carola“, hatte Dr. Beisiegel gesagt, „Wir kennen uns jetzt über zwanzig Jahre. Denkst Du nicht, ich hätte ein wenig Ehrlichkeit verdient?“ Dabei hatte sie ihre alte Studienkollegin bewusst geduzt.
    „Ja, das ist wohl so.“
    Dann hatte sie ihr endlich erzählt, dass sie seit einiger Zeit an einer Zwangsstörung litt. Sie hatte einen Zählzwang. Musste Dinge zählen. Egal was, egal wann. Menschen in einem Raum, Knöpfe an einem Jackett, Fliesen auf dem Boden, Instrumente auf einem Laborwagen. Alles. Immer. Ein Fluch.
    Und jetzt empfand sie es als eine wahnsinnige Befreiung, es jemandem zu erzählen. Warum hatte sie es so lange für sich behalten? Nur ihr Therapeut in Frankfurt wusste davon. Ihre Angst, dass man sie nicht mehr für voll nehmen würde als Wissenschaftlerin, war zu groß gewesen. Aber jetzt? Jetzt war sie zwar immer noch Doktor Carola Pütz. Die Forensikerin. Aber sie war frei. Nur war sie noch nicht bereit es anzunehmen.
    Dr. Pütz trat hinaus auf die Straße. Es dämmerte bereits. Vier Uhr nachmittags. Im November bedeutete das noch eine knappe halbe Stunde Tageslicht. Dann würde es dunkel. Bei Dunkelheit wollte sie wieder in ihrer Wohnung sein. Nicht weil es in ihrem Stadtteil nicht sicher war. Nein. Sie fühlte sich draußen dann nicht mehr wohl.
    Sie ging langsam die Straße hinunter. Ihre Gedanken ließen das Geschehen der letzten Wochen weiter Revue passieren. Sie war auf dem Weg nach Hamburg gewesen, um dort einen Vortrag zu halten. Weil sie vom Bonner Staatsanwalt gebeten worden war, der Bonner Kollegin Dr. Beisiegel bei einem schwierigen Fall zur Seite zu stehen, hatte sie in Bonn Zwischenstation gemacht. Dort hatte es mehrere Mordfälle gegeben. Drei Asiatinnen wurden getötet und dann wurden ihnen die Gesichter entfernt. Das war ihr Arbeitsfeld. Plastische Forensik. Toten Menschen eine Identität zu geben. Ihre Identität. Gesichter zu rekonstruieren war ihre Berufung.
    Sie besaß einen Lehrstuhl an der Universität Frankfurt, war während der vorlesungsfreien Zeit viel auf Vortragsreisen unterwegs in aller Welt. Sie hatte Fachbücher geschrieben, die in viele Sprachen übersetzt worden waren. Dr. Pütz war eine viel beschäftigte und erfolgreiche Wissenschaftlerin. Bis vor fünfzehn Tagen. Seitdem war alles anders.
    Die Ärztin im Bonner Klinikum hatte ihr zwei Wahlmöglichkeiten gelassen. Ihre Brille hatte dabei drohend auf ihrer Nasenspitze gesessen. Die Augen hatten jenen Ausdruck, den Ärzte gepachtet hatten, wenn sie Menschen etwas Unbequemes mitzuteilen hatten. So war es auch bei ihr. Entweder änderte sie ihren Lebensstil sofort, was auch gleichbedeutend mit der zeitweisen oder sogar völligen Aufgabe ihres Berufes war, oder sie riskierte, bei einem erneuten Herzinfarkt ihr Leben zu verlieren. So einfach war es für eine Ärztin einer anderen Ärztin die Wahrheit zu verkaufen.
    Morgen würde sie nun mit dem Zug nach Bad Elster fahren. Einem Kurort an der tschechischen Grenze. Mitten im Niemandsland. Sachsen, das Vogtland. Dr. Pütz mochte die ehemalige DDR nicht. Dreiundzwanzig Jahren nachdem die ersten Trabis auf den bundesdeutschen Autobahnen
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