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Verloren

Verloren

Titel: Verloren
Autoren: Kathryn Taylor
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missbilligend an – der sie jedoch nicht ansieht, wahrscheinlich, weil er das ganz genau weiß.
    Die Kinder sind aufgesprungen, als Valentina das Geschenk erwähnt hat, und holen es. Mit feierlichen Mienen stellen sie es vor ihrer Großmutter auf den Tisch, auf dem ich mit Paola schnell einen Platz freigeräumt habe. Sie sitzt mir gegenüber, und ich sehe, wie sie sich unauffällig zu ihrem Mann hinüberbeugt und ihm etwas ins Ohr flüstert, während ihr Blick noch einmal zu mir gleitet. Auch Luca betrachtet mich und sieht schuldbewusst aus, wahrscheinlich macht Paola ihm gerade Vorhaltungen wegen seiner Bemerkung. Sein Lächeln ist entsprechend entschuldigend, und ich erwidere es, obwohl ich trotzdem wünschte, er hätte nichts gesagt.
    Doch dann richten alle ihre Aufmerksamkeit auf Valentina, die mit einem feierlichen Gesicht ihr Geschenk auspackt und überrascht und sichtlich erfreut in die Hände klatscht, als sie sieht, was es ist: ein speziell angefertigter, rechteckiger Vitrinenschrank, eigentlich mehr ein Schaukasten, in dem mehrere alte Schusterleisten sehr schön drapiert sind.
    »Ihr habt daran gedacht!«, ruft sie, und ich sehe Tränen der Rührung in ihren Augen schimmern. Offensichtlich hat das Geschenk, das ihre Enkel ihr gemacht haben, voll ins Schwarze getroffen.
    Ich kenne den Hintergrund, weil Matteo ihn mir auf der Hinfahrt erklärt hat: Sein Urgroßvater Eduardo Bertani, der das Unternehmen der Familie gegründet hat, war gelernter Schuster, und diese Leisten gehörten ihm. Valentina hat sie die ganzen Jahre über aufbewahrt und vor einiger Zeit den Wunsch geäußert, dass ihre Enkel sie in Ehren halten sollen, weil sie der Grundstein für alles wären, was die Familie heute erreicht hat. Und die drei haben ihr gut zugehört.
    »Diese hier ist nur für dich«, erklärt Luca. »Aber wir haben noch eine zweite Vitrine in Auftrag gegeben, eine größere – für die übrigen Leisten. Sie wird im Foyer der Firma stehen – als Erinnerung daran, wo die Wurzeln unseres Unternehmens liegen.«
    »Ihr seid die Besten!«
    Freudestrahlend umarmt Valentina jeden einzelnen, dann kehrt sie, sichtlich überwältigt von ihren Gefühlen, an ihren Platz zurück und betrachtet versonnen den Inhalt der Vitrine, berührt sie immer wieder.
    Die Kinder, denen die Bedeutung dieses emotionalen Augenblicks entgeht, werden jedoch schon wieder unruhig.
    Einer der Jungen ist aufgestanden und zupft Matteo am Ärmel. »Kommst du mit raus, Zio? Wir wollen dir im Garten was zeigen«, bittet er, und Matteo erhebt sich widerspruchslos, zur Freude der Kinder, die jetzt alle aufspringen und ihn mit sich zerren. Ich blicke ihm nach und hoffe irgendwie, dass er sich noch mal zu mir umdreht. Aber das tut er nicht. Dafür spüre ich, wie sich plötzlich eine Hand auf meine legt. Als ich mich umdrehe, lächelt Valentina mich freundlich an.
    »Und ich möchte Ihnen etwas zeigen, Sophie«, sagt sie und steht auf. Sie hakt sich bei mir unter und geht mit mir zusammen aus dem Esszimmer in das angrenzende Wohnzimmer, durch dessen Fensterfront man ebenfalls einen fantastischen Ausblick auf den See hat. Der Raum ist sehr groß, wirkt aber dennoch einladend. Sein Herzstück ist ganz klar der Kamin, vor dem eine sehr komfortabel aussehende Sitzecke im typischen Bertani-Look gruppiert ist. Darüber, an besonders prominenter Stelle, hängt ein Ölgemälde. Es ist das Porträt eines Mannes, der Matteo verblüffend ähnlich sieht – im ersten Moment glaube ich sogar, dass es ihn zeigt, doch die Frisur stimmt nicht, und das Bild scheint auch schon älter zu sein.
    Valentina lächelt, als sie meinen erstaunten Blick bemerkt, und geht hinüber zum Sofa, legt die Hand auf den Platz neben sich als Einladung, mich zu ihr zu setzen.
    »Mein Vater«, sagt sie dann und deutet auf das Bild. »Es ist unglaublich, wie ähnlich Matteo ihm sieht, nicht wahr?«
    Ich kann das nur bestätigen, aber dennoch blicke ich die alte Dame überrascht an. Irgendwie war ich immer davon ausgegangen, dass sie in die Familie Bertani eingeheiratet hat. Darauf, dass sie die Tochter des Firmengründers ist, wäre ich nicht gekommen. Und wenn sie immer noch Bertani heißt, dann würde das bedeuten …
    Sie fängt meinen Blick auf und lächelt. »Ich war nie verheiratet. Es gab nur eine große Liebe in meinem Leben, Angelo.« Bei der Erwähnung des Namens tritt ein verträumter Ausdruck auf ihr Gesicht. »Doch er war schon vergeben an eine andere. Wir mussten immer einen Skandal
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