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Verlockendes Dunkel

Verlockendes Dunkel

Titel: Verlockendes Dunkel
Autoren: Alix Rickloff
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Großmutter.«
    Elisabeth wischte sich über das Gesicht und setzte sich gerade hin, um die verträumten Züge der Frau auf dem Bild zu betrachten, ihr wehmütiges Lächeln, das so sanft war wie ein Frühlingsregen. Niemand hatte Elisabeth je mit ihr verglichen. Ihre Großmutter war klein und zierlich gewesen, blass und still. Alles, was Elisabeth nicht war.
    »Auch sie hat sich in Träume zurückgezogen, als sie den Menschen verlor, der ihr am liebsten war«, erklärte Tante Fitz.
    »Großvater?«
    »Du hast ihn nicht gekannt, er starb lange vor deiner Geburt, aber die beiden liebten sich sehr. Vielleicht zu sehr, denn mit seinem Tod schien auch ein Teil von ihr zu sterben. Von jenem Moment an war sie nie wieder dieselbe lebhafte, schöne Frau, die wir gekannt hatten. Sie wurde buchstäblich zu einem Gespenst.«
    »Brendan nannte ihn einmal einen Griesgram.« Elisabeth wischte sich eine Träne ab.
    Tante Fitz lachte. »Das konnte er sein, doch er liebte seine Frau auch über alle Maßen. Diese Art von Bindung ist sehr selten – und fast unmöglich zu beenden. Doch egal, wie sehr du es auch versuchst, du kannst Brendan genauso wenig folgen, wie meine Mutter meinem Vater folgen konnte. Und es ist nicht ungefährlich, nur in seinen Träumen zu leben.«
    »Du meinst also, ich sollte endlich aufwachen?«
    Mit einem entschiedenen Blick in ihren goldgesprenkelten Augen, nickte Tante Fitz. »Es ist höchste Zeit.«
    Er stand auf einem Hügel über Belfoyle, die Hand auf dem Wächterstein, dessen Macht ihn mit einem funkelnden Licht durchpulste.
    Brean Duabn’thach, flüsterte der Stein in der alten Sprache und nahm ihn als einen der Seinen an, obwohl Brendan ein leichtes Zögern gespürt zu haben glaubte, als verstünde der Stein diese seltsame Mischung aus Mensch und Magier nicht, die er geworden war.
    Von diesem Höhenrücken konnte Brendan auf sein Zuhause hinunterblicken und sah es vor sich liegen wie Bauklötze auf einer Kinderdecke. Die Hügelfalten, den Strom, der zu einem Fluss wurde auf seinem Weg landeinwärts, die Hütten und Häuser und die von flachen Steinmauern gesäumten Straßen und Wege, die sie verbanden, die Mauern von Belfoyle, seine hoch über die Bäume aufragenden Türme und dahinter die graue See in der Ferne, deren Rauschen der Brandung von den tief hängenden, schmutzig grauen Wolken noch verstärkt zu werden schien.
    Mit geschlossenen Augen atmete er tief die kalte, feuchte Luft ein und spürte sie in jedem frisch verheilten Knochen. Kalte Flocken streiften seine Wangen und blieben in seinen Wimpern hängen, und als er die Augen öffnete, sah er Schnee fallen, der Wiesen und Felder zu einem metallischen Grau verblassen ließ.
    Alles bis auf einen einsamen Reiter. Das glänzende, kastanienbraune Fell des Pferdes zog Brendans Blick auf sich – und die rote Mähne der Reiterin drückte ihm wie eine Faust das Herz zusammen. Ein Bild und ein Name, an die er sich geklammert hatte, als alles andere in seinem Kopf verblasst und sogar ganz dahingeschwunden war. Eine Frau, derentwegen er von einer Welt in eine andere gereist war, um sie wiederzufinden.
    Elisabeth.
    Endlich war er heimgekehrt.
    Dicke Schneeflocken fielen und wurden vom Wind auf das graue Wasser der See hinausgetrieben. Seemöwen segelten auf den Luftströmungen dahin, während andere sich in die Wellen stürzten und wieder auftauchten, um ihr Abendessen zu verspeisen. Elisabeth genoss die Schärfe der kalten Luft auf ihren Wangen, als sie ihr Gesicht in den Wind hob und tief die salzhaltige Seeluft einatmete. Ihr Pferd tänzelte vor Ungeduld, aber Elisabeth zügelte die langbeinige, kastanienbraune Stute und ließ den Blick über den Horizont gleiten, an dem sich vor dem bewölkten Himmel die weißen Segel eines Schiffes abzeichneten.
    Sie war allein ausgeritten, weil das Lachen, der Lärm und das ständige Theaterspielen an ihren Kräften zehrten. Sie brauchte Raum zum Atmen und wollte allein sein mit ihren Gedanken und dem Traum der letzten Nacht.
    Er war so real gewesen wie das Leben selbst. Brendan blickte über seine Schulter, als er aus einem Kreis verwitterter alter Steine trat und sich auf ein langgliedriges graues Pferd mit wilden Augen und abgehackter Gangart schwang. Dann erhob er den Blick, und es war, als sähe er sie an. Über die Zeit und die Entfernung hinweg. Und Elisabeth war mit wild pochendem Herzen und dem Rauschen ihres Blutes in den Ohren aus dem Schlaf aufgeschreckt. Irgendwie hatte sie gewusst, dass dies der
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