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Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe

Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe

Titel: Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe
Autoren: Insel Verlag
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die meisten Menschen, auch die jungen, sich meistens diese Fragen gar nicht stellen, ist wieder eine andere Sache. Für die meisten ist die Sinnlosigkeit gar kein Leid, sowenig wie für den Regenwurm. Aber eben die Wenigen, die vom Leid ergriffen werden und nach dem Sinn zu suchen beginnen, machen den Sinn der Menschheit aus.
    Aus einem Brief 1931
    N icht jedem Menschen ist es gegeben, eine Persönlichkeit zu werden, die meisten bleiben Exemplare und kennen die Nöte der Individualisierung gar nicht. Wer sie aber kennt und erlebt, der erfährt auch unfehlbar, daß diese Kämpfe ihn mit dem Durchschnitt, dem normalen Leben, dem Hergebrachten und Bürgerlichen in Konflikt bringen. Aus den zwei entgegengesetzten Kräften, dem Drang nach einem persönlichen Leben und der Forderung der Umwelt nach Anpassung, entsteht die Persönlichkeit. Keine entsteht ohne revolutionäre Erlebnisse, aber der Grad ist natürlich bei allen Menschen verschieden, wie auch die Fähigkeit, ein wirklich persönliches und einmaliges Leben (also kein Durchschnittsleben) zu führen sehr verschieden ist . . .
    Der werdende junge Mensch, wenn er den Drang zu starker Individualisierung hat, wenn er vom Durchschnittsund Allerwelts-Typ stark abweicht, kommt notwendig in Lagen, die den Anschein des Verrückten haben.
    Ich glaube also, daß Sie auf dem rechten Wege sind, denn Sie spüren diese Nöte. Es gilt nun nicht, seine »Verrücktheiten« der Welt aufzuzwingen und die Welt zu revolutionieren, sondern es gilt, sich für die Ideale und Träume der eigenen Seele gegen die Welt soviel zu wehren, daß sie nicht verdorren. Die dunkle Innenwelt, wo diese Träume zu Hause sind, ist beständig bedroht, sie wird von den Kameraden verspottet, von den Erziehern gemieden, sie ist kein fester Zustand, sondern ein beständiges Werden.
    Unsre Zeit macht es da den Feineren in der Jugend besonders schwer. Es besteht überall das Streben, die Menschen gleichförmig zu machen und ihr Persönliches möglichst zu beschneiden. Dagegen wehrt sich unsre Seele, mit Recht.
    Aus einem Brief vom Februar 1929
    J a, an der Menschheit zu verzweifeln, wäre viel Anlaß da, aber da Verzweifeln kein rationaler Vorgang ist, müssen wir aushalten und es immer wieder mit der Vernunft, der Geduld, auch dem Galgenhumor probieren.
    Aus einem Brief vom August 1949
    I ch glaube, man wird später, wenn von unsrer Zeit die Rede ist, bei ihr eine Neigung zur religiösen
     Überschätzung der Gemeinschaft und eine richtige »Flucht« aus den persönlichen Aufgaben in die sozialen feststellen. Diese Ansicht, daß alles, was die
     Gemeinschaft betreffe, an sich und unbedingt besser und heiliger sei als das, was Sache des Einzelnen ist, kann ich nicht teilen. Die Anlage und Pflicht zur
     Sozialität ist eine von unsern Anlagen und Pflichten, eine wichtige, aber nicht die einzige und nicht die höchste, denn »höchste« Pflichten gibt es überhaupt
     nicht. Der fromme, auf Gott bezogene Mensch früherer Kulturen ist ganz von selber sozial von hohem Wert gewesen, obwohl er alle Sorgfalt nur auf sein
     persönliches Verhältnis zu Gott wendete. Und so ist es immer gewesen, bei den alten Chinesen schon und zu allen Zeiten: der tugendhafte, wertvolle,
     wünschenswerte, zur Vollkommenheit geeignete Mensch war immer der, der sich in direkter Beziehung zu Gott weiß, ganz einerlei, ob er General war oder Eremit,
     und wenn er an seinem Ort das tat, wozu der Mensch da ist: sich selber zu dem höchstmöglichen Grad von Wert reifen, dann war er ganz von selber auch im Wirken
     auf andre, auf Gemeinschaft und Staat wertvoll und wichtig.
    Aus einem Brief vom Dezember 1932
    D as Leben ist keine Rechnung und keine mathematische Figur, sondern ein Wunder. So war es mein ganzes Leben lang: alles kam wieder, die gleichen Nöte, die gleichen Gelüste und Freuden, die gleichen Verlockungen, immer wieder stieß ich mir den Kopf an dieselben Kanten, kämpfte mit den gleichen Drachen, jagte den gleichen Faltern nach, wiederholte stets dieselben Konstellationen und Zustände, und doch war es ein ewig neues Spiel, immer wieder schön, immer wieder gefährlich, immer wieder erregend. Tausendmal bin ich übermütig gewesen, tausendmal todmüde, tausendmal kindisch, tausendmal alt und kühl, und nichts hat lange gedauert, alles kehrte stets wieder und war doch nie das gleiche. Die Einheit, die ich hinter der Vielheit verehre, ist keine langweilige, keine graue, gedankliche, theoretische Einheit. Sie ist ja das Leben
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