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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target
Autoren: Nancy Kress
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vielleicht sogar ärgerlich geworden. So hatte er sich
nicht vorgestellt, daß die Sache ablaufen würde, und so
hatte er es auch in seiner Ausbildungszeit nicht gelernt.
Überwachung, Analyse, Tatkraft, Teamarbeit: das waren doch
angeblich die Zutaten für die Lösung eines Falles!
Schulung, Logik, Enthusiasmus, Hartnäckigkeit, Können. Aber
nichts davon hatte den Fall Verico davor bewahrt, sich zu einem
Haufen Wolle aufzutrennen.
    Doch ein Revuegirl aus Las Vegas, ein häuslicher
Wissenschaftler, eine obskure Forschungsassistentin, die niemand
beachtete – sie alle hatten mit ihrem gemeinsamen Sinn für
das, was recht war, die fallengelassenen Maschen wieder aufgenommen.
Vielleicht.
    Wenn sie Glück hatten.
    Wenn Miriam Kirchner wußte, was sie tat.
    Wenn sie den Mumm hatte, das alles durchzuziehen.
    Wenn sie die Frau war, für die ihr Vetter sie hielt.
    Und wenn niemand mehr irgendwelche Fehler machte.
    Cavanaugh sah zu, wie Saul Kirchner seinen Cavalier aus dem
Parkplatz fuhr und merkte sich automatisch die Nummer. Dann stieg er
aus und ging zu dem Münztelefon vor dem Eingang zum
McDonald’s.
    Es war kaputt.
    Er hielt sich nicht mit Fluchen auf, sondern stieg in seinen
Wagen, fuhr einiges über der Höchstgeschwindigkeit zur
nächsten Ausfahrt und suchte sich eine Tankstelle. Dort
funktionierte das Telefon.
    Nicht alles konnte zur gleichen Zeit kaputtgehen.
    »Marty? Robert hier. Hören Sie, es ist gerade etwas
geschehen…«

»Irgend
etwas geschieht immer«, sagte Dan O’Brien, »das unser
Bild des Universums verändert. Auf diese Weise erinnert uns das
Mysterium daran, um wieviel größer es ist als unser Wissen
davon.«
    Judy lächelte schwach und überrollte die Wand ihres
Wohnzimmers mit dem nächsten Streifen Farbe. »Aber die
Wissenschaft will keine Mysterien, Dad. Sie will den Mysterien auf
den Grund gehen und sie erklären. Messen, wägen, bestimmen,
bla, bla, bla.«
    O’Brien lächelte hinab auf seine Tochter. Er stand auf
einer Leiter und trug Farbe in den Winkel zwischen Wand und Decke
auf. »Manche Leute gehen in die Wissenschaft, um dem Mysterium
zu entkommen. Andere, um es zu finden.«
    »Ben wollte dem Mysterium entkommen«, sagte Judy. Ihre
Bemerkung überraschte sie. »Wirklich wahr, er wollte dem
Mysterium entkommen. Er wollte jedes Rätsel
lösen.«
    »Nicht jedes Rätsel kann gelöst werden«, sagte
O’Brien sanft. »Aus diesem Grund haben wir Gott.«
    »Also, ich mag Leute, die zumindest versuchen, Rätsel zu
lösen«, sagte Judy und überraschte sich damit zum
zweitenmal. Doch es stimmte, sie mochte Leute, die Erklärungen
für Rätselhaftes fanden. Die logisch folgerten. Die
entschlüsselten. Aber sie mochte sie ungefähr so, wie sie
momentan alles und jedes mochte: nicht übermäßig.
    Draußen war Frühling. Ein falscher Frühling
wahrscheinlich, denn in Boston gab es gelegentlich noch im April
Schneestürme, aber die Krokusse waren schon da, und die
Narzissen gaben sich alle Mühe. Eine gute Zeit, um das Haus auf
den Markt zu werfen, hatte Judy beschlossen. Ihre Eltern waren
gekommen, um ihr bei den Vorbereitungen zu helfen: beim Ausmalen,
beim Saubermachen, beim Aussortieren des Gerumpels im Keller.
Donnerstag sollte ein Immobilienmakler kommen, um es sich anzusehen.
Judy dachte daran, sich ein kleines Haus in der Stadt zu kaufen. Oder
auch etwas anderes.
    »Ich finde, das Weiß sieht nicht gut aus«, stellte
sie fest. »Wir hätten doch Eierschale nehmen
sollen.«
    »Warum?«
    »Ich weiß nicht. Das reine Weiß ist zu
hart.«
    Ihr Vater sah sie an, sein Lächeln war verschwunden.
    »Meine Güte, ich finde eben, es ist zu hart, Dad! Das
liegt doch nicht an meinem Seelenzustand! Kann ich denn nicht einmal
eine eigene Meinung über einen Farbton haben, ohne daß du
dir deswegen Sorgen machst? Hör doch endlich auf damit,
Dad!«
    O’Brien antwortete nicht, und nach einer Minute sagte Judy:
»Entschuldige.«
    »Keine Ursache. Ich mache mir keine übertriebenen
Sorgen, und deine Mutter tut es auch nicht. Aber du hast eine Menge
durchgemacht, und es ist erst zwei Monate her.«
    Sie legte die Rolle hin. »Wenn ich doch bloß denken
könnte, daß…«
    »Was denken könnte, Liebes?«
    »Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, was ich denke.
War das die Türklingel?«
    »Mutter wird aufmachen.«
    »Mutter ist in den Supermarkt gefahren, um Kaffee und
Brötchen zu holen. Ich gehe hin.«
    Judy war froh, das halb ausgemalte Wohnzimmer verlassen zu
können; es war so schmerzhaft leer und doch so
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