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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target
Autoren: Nancy Kress
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spezifisches
Karzinom anzugreifen und zu zerstören.«
    »Krebs zu heilen«, sagte Judy langsam.
    »Nun, noch ist es nicht soweit«, sagte Caroline, die
vorsichtige Wissenschaftlerin. »Aber es ist ein großer
Schritt in diese Richtung. Es stehen noch die klinischen Tests aus
und all das…«
    »Aber es dauert nicht mehr lange. Dank der Gentechnik. Ein
Weg, Krebstumoren zu zerstören, ohne die gesunden
Körperzellen anzugreifen. Es wird möglich sein.«
    »Es wird möglich sein«, nickte Caroline und ihre
müden Augen glänzten einen kurzen Moment lang, in dem Judy
klar wurde, daß sie sich geirrt hatte: Caroline konnte immer
noch begehrenswert aussehen. Wenn ein Erfolg sie von innen heraus zum
Strahlen brachte, dann wirkte sie so, wie Ben sie wohl gesehen haben
mußte, in all den langen Nächten im Labor.
    Es überraschte Judy, wie wenig diese Erkenntnis weh tat.
Eigentlich schien es überhaupt keine Bedeutung mehr zu haben.
Sie hatte Ben geliebt, aber er war ein Ehebrecher, ein Egoist und
Lügner gewesen. Doch er hatte auch diesen phantastischen
Durchbruch in der wissenschaftlichen Forschung ermöglicht,
dieses lebensspendende Wunder. Dieses Mysterium.
    »Also, ich gehe jetzt«, sagte Caroline linkisch. Die
innere Glut erstarb. »Ich wollte nur, daß Sie es
erfahren.«
    »Ich weiß, Sie haben ihn auch geliebt«, sagte Judy
abrupt.
    Caroline wandte das Gesicht ab und sah zum Fenster hinaus. In
ihren Augen glitzerte es. »Ja, das habe ich.«
    Und danach gab es nichts mehr zu sagen. Judy ging schweigend
voraus, die Treppe hinunter, und ließ Caroline zur Tür
hinaus.
    »Wer war es denn?« fragte ihr Vater von der Leiter
herab.
    »Ach, nur ein Nachbar. Hör mal, Dad, ich bin ein
bißchen müde. Ich komme in einer Viertelstunde wieder
herunter, okay?«
    »Ist mir recht«, sagte Dan O’Brien vergnügt,
und Judy hörte das Kratzen der Leiter auf dem Fußboden,
als sie nach oben ging.
    Sie kehrte in ihr Arbeitszimmer zurück und versuchte, sich
über ihre Gefühle klar zu werden. Heilung von Krebs. Es war
einfach zu groß – vergleichbar dem Versuch, an die
Existenz eines bisher unbekannten Kontinents zu glauben. So sehr sie
von Bens Talent überzeugt gewesen war, so wenig hätte sie
erwartet, daß es zu etwas so Bedeutenden führen
würde. Was besagte das über sie?
    Und dort draußen, irgendwo dort draußen, trieben die
winzigen schwarzen Nadelspitzen auf dem Wind.
    Das Fax summte. Froh über die Ablenkung nahm Judy die erste
Seite zur Hand. Sie erwartete, weitere Unterlagen des Institutes
für die Ursprünge des Menschen zu sehen, aber darum
handelte es sich nicht.
    Es sah aus wie die Bleistiftzeichnung einer Glühlampe –
von der Sorte, die über einer Comicfigur aufleuchtet, wenn ihr
eine Idee kommt. Aber diese Glühlampe war aus Stein gehauen.
Sprünge durchzogen ihre Oberfläche, und auf der Nordseite
wuchsen Flechten. In Blockbuchstaben stand darunter: AUS DEM GARTEN
DER VERSTEINERTEN METAPHERN.
    Unwillkürlich mußte Judy laut auflachen.
    Das zweite Blatt zeigte die Inkarnation aller Bullen aus allen
Filmen, die sie je gesehen hatte: zerdrückte Uniform, langes
Kinn, riesiges Abzeichen, riesiger Bauch. Eine Sprechblase sagte:
»No habla tabula rasa.« Es dauerte einen Moment, bis sie es
erfaßte, aber dann lachte sie wiederum. Der Mann, der dachte,
er wüßte schon alles.
    Noch einmal surrte das Gerät. Diesmal war das Blatt mit rasch
hingeworfenen Zeichnungen bedeckt:
     
    DIE WORTE ›WIR HABEN DIE SCHWEINE!‹
IN DEN VIELEN SPRACHEN DES BEKANNTEN UNIVERSUMS

    Diesmal lachte Judy nicht. Sie sah sich die Zeichnung näher
an. Am untersten Ende des Blattes, in so winzigen Buchstaben,
daß Judy sich anstrengen mußte, um sie zu entziffern,
stand geschrieben: ›Ja. Wirklich‹. Und darunter: ›R.
Cavanaugh.‹
    Sie vergaß zu atmen.
    Ja. Wirklich.
    Draußen bog der Wagen ihrer Mutter in die Zufahrt ein. Judy
sah zu, wie Theresa O’Brien die Wagentür aufmachte, mit
einer großen braunen Papiertüte voller Lebensmittel
ausstieg und unter dem überhängenden Verandadach
verschwand. Neben dem Gartenweg bildeten die Krokusse kleine
Farbkleckse: gelb, blau, violett.
    Sie hatte immer noch seine private Telefonnummer. Irgendwo.
    Ihr Vater betrat das Zimmer, über und über mit Farbe
bespritzt. »Na, jetzt siehst du schon ein wenig munterer aus.
Arbeitest du an deinem Artikel?«
    »Ja. Nein. Dad, wie lautet denn eigentlich deine Definition
eines Mysteriums?«
    Augenblicklich sagte er: »Eine Art von Zusammenhalt unter
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